Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Bank zur Ruhe gelegt, bereit, sich alsbald wieder in jene fernen Gestade zu begeben, in denen Götter auch ohne die Macht des Glaubens bestehen konnten.
Der Dunkelgewandete hatte lange zu ihr gesprochen, doch Emos Sorge um ihre Kinder war groß. Sie zeigte es nicht, aber er spürte, dass sie, die ihre Kinder dereinst zornig verstoßen hatte, von bitteren Schuldgefühlen geplagt wurde. Er hatte all sein erzählerisches Geschick aufwenden müssen, um ihre Sorgen zu zerstreuen, doch gerade als er sich am Ziel wähnte, erreichte ihn der beunruhigende Ruf:
Wanderer, wo bist du?
Vier Worte, die die unerschütterliche Ruhe des Dunkelgewandeten in Aufruhr versetzten. Jemand hatte die heiligen Gestade betreten und suchte nach dem Einen, dessen Gestalt er angenommen hatte.
Seine geschickt eingefädelte Täuschung war in höchster Gefahr.
Blitzschnell wog er ab, was zu tun war. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, hinunterzugehen und den Suchenden, wie schon den Wanderer, auf ewig in die Nebel der Körperlosen zu verbannen.
Doch durfte er die Halle jetzt nicht verlassen. Wenn er jetzt ginge, konnte das alles zunichte machen, was seine wortgewaltigen Ausführungen in mühsamer Arbeit bewirkt hatten. Emo stand unmittelbar davor, sich erneut auf die Reise zu begeben. Keinesfalls durfte sie durch seine Unruhe misstrauisch werden und ihre göttliche Seele von der Schwelle der Sphären zurückrufen.
Einmal begonnen, musste er die Rolle, in die er geschlüpft war, bis zum Ende durchhalten, um sich nicht zu verraten. Erst dann konnte er dem Ursprung des Rufs nachgehen.
»Was ist? Warum sprichst du nicht weiter?« Emos Worte klangen kraftlos und wie aus weiter Ferne.
Der Dunkelgewandete atmete auf. Er hatte befürchtet, dass auch Emo den Ruf gehört haben könnte, doch wie es schien, hatte sie sich dafür schon zu weit entfernt.
Der Wanderer ist sicher verwahrt, beruhigte er sich in Gedanken. Die Nebel werden ihn gewiss nicht freigeben. Nur noch eine kleine Weile, und Emo wird diese Gestade verlassen haben. Dann hat das lächerliche Possenspiel ein Ende, dachte er bei sich, es bleibt genügend Zeit, sich des Unruhestifters zu entledigen.
»Es ist nichts«, beeilte er sich zu erklären und fügte in gespielter Demut hinzu: »Verzeiht, dass meine Gedanken abschweiften«, ehe er eine Spur schneller als zuvor in seinem Bericht fortfuhr.
Ajana erwachte, weil jemand ihre Schulter berührte. Schlaftrunken murmelte sie etwas Unverständliches und schlug nach dem Störenfried, der sie aus tiefem Schlaf geweckt hatte, doch das Rütteln an ihrer Schulter ließ nicht nach. »Wach auf, Ajana!«
»He, was hast du da zu suchen?« Artis Stimme schallte durch die Höhle. Gleich darauf hörte Ajana Schritte näher kommen. »Bei Callugars scharfem Schwert, du hast auf deinem Platz zu bleiben!« Der Onur-Heermeister, der Wache hatte, klang zornig. Ein verhaltener, schmerzerfüllter Laut drang an Ajanas Ohr. Dann war die Hand von ihrer Schulter fort.
Benommen schüttelte sie die Müdigkeit ab, die sie noch immer umfangen hielt, richtete sich auf und sah sich um. Sie konnte noch nicht lange geschlafen haben, denn die anderen lagen fest in ihre Decken gehüllt und rührten sich nicht.
Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Artis Faizah am Arm gepackt hatte und sie grob zur Höhlenwand zurückzerrte. Mit einem Fußtritt stieß er sie zu Boden und versetzte ihr mit dem Handrücken zwei so heftige Schläge auf die Wange, dass ihr Kopf gegen die Felswand prallte. Faizah keuchte vor Schmerz, aber sie biss die Zähne zusammen und ertrug die Misshandlung stumm.
Ajana hielt entsetzt die Luft an. Offenbar hatte die junge Uzoma versucht, sie zu wecken, und Artis hatte sie dabei erwischt. Aber das gab ihm doch noch lange nicht das Recht, sie derart zu misshandeln!
»Ich bedauere, dass die Gefangene Euren Schlaf gestört hat«, entschuldigte er sich und kehrte auf seinen Posten zurück. »Es wird sich nicht wiederholen.«
»Sie hat mich nicht gestört.« Ajana war über Artis’ brutale Vorgehensweise zutiefst erschüttert. »Ihr hättet sie dafür nicht schlagen dürfen.«
»Für Gefangene gibt es Regeln«, erwiderte Artis ohne Reue. »Ihre Missachtung muss geahndet werden.«
»Aber sie hat mir nichts getan«, wandte Ajana leidenschaftlich ein. »Sie …«
»Was nicht geschehen ist, ist nicht von Belang«, erwiderte Artis kühl. »Solange ich auf meinem Posten stehe, wird sich die Uzoma nicht von der Stelle rühren.«
»Nun, dann gehe ich eben
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