Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
schloss in Erwartung des nahen Todes die Augen.
Es ist aus!, schoss es ihr durch den Kopf.
Eisige Furcht schnürte ihr die Kehle zu und lähmte ihre Glieder, doch der tödliche Biss blieb aus.
Endlose Sekunden verstrichen, ehe Ajanas erkannte, dass die Bestie über ihr sich nicht bewegte. Sekunden der Angst, die sich wie tiefe Narben in ihr Gedächtnis brannten und die sie niemals wieder vergessen sollte. Wie durch einen Nebel hörte sie Stimmen nahen, spürte Erschütterungen im Boden und fühlte, wie das drückende Gewicht von ihrem Körper fortgezerrt wurde. Eine Hand schob sich unter ihren Nacken, hob sie sanft auf, und eine vertraute Stimme sagte: »Es ist alles gut.«
Blinzelnd öffnete Ajana die Augen und blickte in das bärtige Gesicht des Heermeisters. Sie wollte antworten, doch ihre Kehle war wie ausgetrocknet. So nickte sie nur, schluckte mühsam und musste schließlich husten. Bayard half ihr, sich aufzusetzen. Sie stützte die Ellenbogen auf die Knie und barg das Gesicht in den Händen. Ihr lockiges Haar war zerzaust. Strähnen verdeckten ihr Gesicht, doch sie achtete nicht darauf, während sie ein paarmal tief einatmete und sich sammelte. Schließlich strich sie das Haar zurück und sagte leise: »Ich danke Euch. Das war Rettung in letzter Sekunde.«
»Nicht mir habt Ihr zu danken. Es war Keelins Pfeil, der die Bestie erlegte.« Bayard lächelte verlegen und nahm die Asnarklinge zur Hand, die neben ihm auf dem Boden lag. »Das ist ein gute Klinge«, sagte er. »Doch sie wurde für den Nahkampf geschmiedet. Ein schneller, wohl gezielter Pfeil war es, der Euch das Leben rettete.« Er hob den Kopf und blickte zu Keelin hinüber, der mit einer Fackel in der Hand vor dem Kadaver des Dunkelschleichers kniete und offenbar nach etwas suchte. »Callugar war uns wohlgesonnen«, fahr er fort und spie auf den Boden. »Der Dunkelschleicher war ein alterndes männliches Tier, und er jagte allein.« Bayard fuhr sich mit der Hand seufzend über die geflochtenen Bartzöpfe. »Gegen ein ganzes Rudel hätten wir uns niemals wehren können.« Lauter fügte er hinzu: »Wir haben wahrlich großes Glück, dass Keelin so ein vortrefflicher Bogenschürze ist.«
»Der Dank gebührt mir nicht.« Der junge Falkner erhob sich, kam auf die beiden zu und reichte Bayard, der ihn verwundert anschaute, einen Pfeil. »Dies ist mein Pfeil«, sagte er leise. »Er steckte in der Schulter des Dunkelschleichers.« Er blickte den Heermeister viel sagend an und fahr dann fort: »Die Pfeile, die den Dunkelschleicher töteten, stammen hingegen nicht von mir.« Während er sprach, hielt er drei weitere, deutlich längere Pfeile ins Licht der Fackel. Die Spitzen waren tiefschwarz und fein gearbeitet, der Schaft aus hellem, glatt poliertem Holz. Am Ende der Pfeile steckten drei kräftige blaue Federn, die offenbar für bessere Flugeigenschaften sorgen sollten.
»Thorns heilige Rosse!« Bayard nahm einen der Pfeile zur Hand, drehte ihn in den Händen und betrachtete ihn eingehend von allen Seiten. »Derartige Pfeile sind mir noch nie untergekommen. Wer …?«, er verstummte und sah Keelin fragend an, doch dieser antwortete nicht. Sein Blick war starr und wie gebannt auf die Öffnung des natürlichen Felsenrings hinter Ajana und dem Heermeister gerichtet.
Von seinem Blick irritiert, wandten sich die beiden um und erkannten im Licht des Silbermondes, der soeben hinter einer dünnen Wolke hervortrat, eine Gruppe von mehr als einem Dutzend dunkler Gestalten, die, mit Pfeilen und langen Speeren bewaffnet, den einzigen Weg aus dem Felsenrund versperrten.
An Flucht war nicht zu denken.
Die kriegerisch wirkenden Männer waren ausgesprochen kleinwüchsig und trugen seltsames Rüstzeug, das Ajana entfernt an die antike Bekleidung römischer Legionäre erinnerte. Die runden Holzschilde schienen viel zu klein, um einen Angriff wirkungsvoll abzuwehren. Unter den ärmellosen Umhängen, die vor der Brust mit einer Spange geschlossen wurden, konnte Ajana im Mondlicht Harnische erkennen, die wohl dazu dienten, Brust und Rücken gleichermaßen zu schützen. Ihre Füße und Beine steckten bis zum Knie in hohen, mit Bändern umwundenen Stiefeln, auf denen vorn eine schlanke Schildplatte aus hartem Leder befestigt war. Das eigenwilligste Kleidungsstück aber waren die aus vielen harten Lederstreifen gefertigten Röcke, die den Männern fast bis zum Knie reichten.
Die langen schwarzen Haare trugen sie zu strengen, eng am Kopf anliegenden Zöpfen geflochten, die
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