Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Wasserschlauch, um die Schmerzen erneut zu betäuben. Die Wirkung ließ auch diesmal nicht lange auf sich warten, aber der Vorrat an Wasser ging bedrohlich zur Neige. Nicht mehr lange, und sie würde den Ritt ohne Linderung ertragen müssen.
»Ist es noch weit?«, fragte sie Oona leise.
»Nein!« Wie immer, wenn die Reiterin des kleinen Volkes in den Höhlen die Stimme erhob, erschien es Maylea viel zu laut. Im Gegensatz zu ihr schien Oona keine Sorge zu haben, dass es hier irgendwo Feinde oder Gefahren geben könnte. Sie sprach so laut und unbekümmert, dass man es vermutlich noch hundert Pfeilschussweiten entfernt hören konnte. »Wir haben es gleich geschafft.«
Afft … afft … afft …
Mit klopfendem Herzen horchte Maylea auf den Nachhall der Worte, der sich irgendwo in den Gewölben hinter ihnen verlor. Sie hatte sich stets für mutig gehalten, doch hier in den finsteren Tiefen der Berge wurde ihr bewusst, dass auch ihr Mut Grenzen hatte. Zum ersten Mal verspürte sie Angst.
Immer häufiger glaubte sie, blitzende Augen in der Finsternis zu erkennen, die sie hungrig anstarrten, und hechelnde Laute zu hören, wie von blutrünstigen Tieren, die sie jenseits des winzigen Lichtkegels verfolgten. Manchmal war es so schlimm, dass sie das Gefühl hatte, nicht mehr atmen zu können, und sie flehte Emo an, dass der gespenstische Ritt bald ein Ende haben möge.
Und dann sah sie es: Weit voraus erhellte ein goldener Lichtschein das Dunkel. Noch war es nicht mehr als ein heller Flecken, nicht mehr als die Ahnung von Licht. Es reichte jedoch, die Anspannung zu lösen, die Maylea fest im Griff hatte.
Das Licht war ihre Rettung. Maylea konnte den Blick nicht davon abwenden. Fast unbändig fühlte sie sich davon angezogen und sehnte voller Ungeduld den Augenblick herbei, da sie endlich in den wärmenden Sonnenschein hinaustreten konnte. Sie war überzeugt, dass es Oona und dem Mahoui ähnlich erging, doch zu ihrem großen Erstaunen schritt der riesige Laufvogel nicht schneller aus – im Gegenteil. Als es so hell wurde, dass Maylea die Maserung der Felswände vom Boden bis zur Decke mühelos erkennen konnte, ließ Oona den Mahoui anhalten und schwang sich aus dem Sattel.
»Was soll das?« Nur ein Hauch trennte die Empörung in Mayleas Worten noch von der Wut, die sie angesichts der Verzögerung verspürte. »Warum reiten wir nicht weiter?«
»Die Sonne ist gerade aufgegangen«, sagte Oona in einem Tonfall, als erkläre dies alles, während sie die Lampe vom Geschirr des Mahouis löste und auf den Boden stellte. »Lasst uns vorsichtig sein.«
»Vorsichtig?« Maylea stieß einen empörten Laut aus und deutete zurück. »Emos zornige Kinder. Dort hätten wir vorsichtig sein müssen.«
»Du fürchtest die Dunkelheit.« Oona nickte verständnisvoll, schwang sich wieder in den Sattel und wandte sich zu Maylea um. »In meinem Volk gibt es ein Sprichwort«, sagte sie. »Wer die Dunkelheit fürchtet, ahnt nicht, was das Licht ihm antun kann.«
»Die Sonne?« Maylea schüttelte den Kopf. »Was sollte die Sonne mir antun? Sie ist die Schöpferin allen Lebens. Das Ebenbild von Emos strahlender Schönheit. Von ihr droht keine Gefahr.«
»Sagt das auch der Dürstende in der Nunou, dem die Sonne die Haut am Leib versengt?« Oona musterte sie aufmerksam.
»Das ist doch etwas anderes!«
»Das ist nur eine der Gefahren, die die Sonne birgt.« Oona gab dem Mahoui ein Zeichen. Langsam setzte er sich in Bewegung und schritt gemächlich auf den Höhleneingang zu. »Nach der langen Dunkelheit kann das Licht dich blenden«, erklärte sie. »Deshalb dürfen wir die Höhlen nicht überstürzt verlassen. Und nun schließe die Augen, wir sind da.«
Kaum, dass sie dies gesagt hatte, trat der Mahoui in den Sonnenschein hinaus, und Maylea spürte am eigenen Leib, was Oona meinte. Das grelle Licht blendete sie so stark, dass sie es selbst mit geschlossenen Lidern kaum ertragen konnte, und sie schlug erschrocken die Hände vors Gesicht.
Als sie wenig später einen ersten Blick wagte, traute sie ihren Augen kaum. »Emos heilige Schwestern!«, entfuhr es ihr, während sie voller Ehrfurcht auf das riesige grüne Tal zu ihren Füßen hinabblickte, das dem Wechsel der Jahreszeiten wie auf magische Weise zu trotzen schien.
Die Zeit verstrich zäh, während die Sonne am wolkenlosen Himmel emporstieg und die langen Schatten dem Licht wichen.
Vhara stand mit dem Rücken zur Sonne, vermochte jedoch nicht zu sagen, ob ihr dies zum Vorteil
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