Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
gereichte. Den blitzenden Opferdolch in der verkrampften Hand, beobachtete sie die Echse, die nahezu reglos am Rand der Senke verharrte.
Es war ein imposantes Tier, das in Größe und Gewicht den ausgewachsenen Lagaren in nichts nachstand, von seinem Aussehen her aber noch wendiger wirkte. Der keilförmige Kopf, der sich am Ende eines schlanken Halses aus einem stromlinienförmigen Körper mehr als mannshoch über den Boden erhob, endete in einem langen dünnen Schwanz, der mit zuckend-peitschenden Bewegungen den Sand aufwirbelte.
Angesichts des enormen Leibesumfangs wirkten die glänzenden roten Schuppen, die den Körper des Raapirs wie eine Schlangenhaut überzogen, geradezu filigran. Die klauenartig gekrümmten Krallen und die stämmigen angewinkelten Beine zeugten davon, dass sich die Echse sehr schnell fortbewegen konnte und in der Lage war, sich tief in den Sand einzugraben.
Am eindrucksvollsten aber wirkten die beiden tiefroten Fächer aus dünnen Hautlappen, die die Echse zu beiden Seiten des Kopfes trug. Während des grausigen Mahls waren sie Vhara kaum aufgefallen, doch jetzt im Sonnenlicht ließen die voll entfalteten, armlangen Fächer den Kopf noch bedrohlicher erscheinen.
Der Raapir musterte Vhara aus kleinen ausdruckslosen Augen. Vermutlich war er noch nie einem menschlichen Wesen begegnet und unschlüssig, ob ein solches sich als Beutetier eignete.
Die Hohepriesterin rührte sich nicht. Fieberhaft suchte sie nach einem Weg, aus dieser gefährlichen Lage zu entrinnen. Aus Furcht, es könne den Raapir zum Angriff verleiten, vermied sie es zunächst, den Blick der Echse zu kreuzen, doch dann fasste sie einen kühnen Entschluss.
Andächtig hob sie den Kopf und blickte scheinbar furchtlos zu dem Raapir auf. Was sie vorhatte, war für sie nicht neu. Sie hatte das Verfahren schon häufig angewendet. Sei es, um die Lagaren an die Reiter zu binden oder sie für den Kriegsdienst gefügig zu machen. Doch diesmal war es anders. Anders und sehr viel gefährlicher. Diesmal gab es keine Droge, die den wilden Geist der Echse besänftigte und für ihre Befehle empfänglich machte. Diesmal war sie ganz auf sich gestellt und allein auf ihre Kräfte angewiesen.
Mit klopfendem Herzen suchte sie den Blick in den Augen des Raapirs. Ein letztes Atemschöpfen, dann schaute sie der Echse tief in die Augen.
Das Zusammentreffen mit der wilden, ungezähmten Wesenheit raubte Vhara fast den Atem. Wie eine dunkle, alles verschlingende Woge brandeten die Empfindungen des Raapirs durch ihr Bewusstsein. Ein gewaltiger Sturm aus Zorn und Blutlust fegte ihre eigenen Gefühle hinfort, und ein grimmiger Hunger wütete wie Klauen in ihren Eingeweiden. Die Lagarenjungen hatten den Blutdurst des Raapirs offenbar nicht stillen können, und er gierte nach mehr.
Für einige Herzschläge verlor sie sich in dem reißenden Strudel ungezähmter Wildheit, Mordlust und Blutgier …
Nur mit einer enormen Willensanstrengung gelang es ihr, dagegen anzukämpfen, um ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Die Echse schien die Berührung des Geistes zu spüren. Der lange Schwanz schlug nun so heftig auf den Boden, dass Vhara die Erschütterung spüren konnte.
Der Raapir fühlte sich bedroht. Eins mit der Echse, erlebte Vhara die Verwirrung und den Zorn, als wären es ihre eigenen Empfindungen.
Mehr Blut!
Töten!
Wellen von Hass und Gier kamen und gingen und drohten Vharas eigenes Selbst zu ertränken. Sie wehrte sich stumm und versuchte ruhig zu bleiben, während sie sich wie eine Ertrinkende an die Überreste dessen klammerte, was ihren Willen ausmachte.
Sie durfte nicht aufgeben …
Keuchend vor Anstrengung kämpfte sich Vhara durch die finstersten Abgründe des fremden Bewusstseins. Es war schwer. Viel schwerer, als sie es bei den Lagaren erlebt hatte, deren Widerstand durch die Droge gebrochen war. Immer wieder versuchte die Echse sich von ihrem magisch durchdringenden Blick loszureißen und die Berührung abzuschütteln. Wild und ungestüm wehrte sie sich gegen die fremde Wesenheit, die sich ihrer zu bemächtigen versuchte.
Vhara blieb standhaft. Wie ein Reiter auf dem Rücken eines wilden Pferdes, klammerte sie sich an den Geist des Raapirs und tastete sich langsam zu dem Ort vor, der die Urinstinkte der Echse beherbergte. Dabei spürte sie, wie auch ihre Kräfte schwanden.
Die Echse gebärdete sich nun in wilder Raserei. Unfähig, den Blickkontakt mit der Hohepriesterin zu unterbrechen, kauerte sie sich fauchend auf den Boden.
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