Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
eine Schuld. Die Menschen entwickeln sich weiter, verändern sich, driften auseinander. Eigentlich sollte sie überhaupt nicht hier sein. Dan hatte sie in die Falle gelockt, sie in sein eigens dafür konstruiertes Netz zurückgeholt. Dabei sollte sie ganz woanders sein – mit jemand anderem.
»Du weißt doch überhaupt nichts über ihn.« Spuckeblasen schäumten zwischen seinen Lippen. Seine blasse Hand ruhte schlaff auf dem weißen Bettbezug.
Damit hatte er zweifellos Recht. Würde er ihr nun erzählen, was er in Erfahrung gebracht hatte? Natürlich. Er konnte es ja kaum mehr erwarten.
»Marco Timpone ist dir in Brighton nicht etwa zufällig über den Weg gelaufen.«
»Wovon redest du?« Ihr wurde unbehaglich zumute, und sie konnte ihre Nervosität kaum verbergen. Diese Genugtuung gönnte sie Dan keinesfalls.
»Er ist hierher gereist, um dich kennenzulernen.«
»Sei nicht albern!« Sie versuchte sich an ihre erste Begegnung zu erinnern. Marco hatte vor ihrem Brautstudio gestanden und ihr die Geschichte von einer Freundin aufgetischt, die in Kürze heiraten würde. Ein Vorwand … Und dann …
»Kaum hatte er in dem Restaurant zu arbeiten begonnen, stellte er die ersten Fragen«, sagte Dan triumphierend. »Schon, als er sich vorgestellt hat.«
Cari kannte die Quelle. Einer von Dans zahllosen Cousins war stellvertretender Chef im Bella Pizza.
»Das hast du vollkommen missverstanden«, warf Cari ein. Marco hatte offensichtlich vom ersten Augenblick an Gefallen an ihr gefunden. Er hatte vor dem Geschäft gestanden, fand das, was er dort sah, sympathisch und versuchte anschließend mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Sie wollte jetzt nicht eingebildet klingen, aber das war doch offensichtlich, oder nicht? Aus welchem Grund würde sich ein Mann sonst nach einer Frau erkundigen?
»Er wollte auch etwas über deine Mutter wissen«, fügte Dan hinzu.
»Über meine Mutter?« Mittlerweile war Cari übel. »Was meinst du damit?«
Kurz nachdem Marco Caris Brautgeschäft aufgesucht hatte, war Tasmin gestorben. Und das wiederum lange bevor Marco in das Haus einzog, in dem auch Cari wohnte. Einen Stock über ihr. Als er ihr im Treppenhaus begegnet war, hatte er sichtlich erstaunt gewirkt. Es war offenbar ein rein zufälliges Zusammentreffen. Bestimmt hatte er das nicht eigens eingefädelt.
»Deine Mutter.« Dan drohte ihr mit dem Finger.
Seine Überheblichkeit war derart unerträglich, dass sie versucht war, ihn zu ohrfeigen. Sie grub die geballten Fäuste in den Schoß. Dan war schließlich krank. Wer würde denn jemanden im Krankenhausbett angreifen?
»Er wollte etwas über die Galerie neben dem Restaurant herausfinden. Edwards Galerie.« Dan fand sichtlich Vergnügen an seiner Rolle. Seine Augen funkelten, als hätte ihm seine bevorzugte Krankenschwester eine Extradosis Muntermacher verabreicht.
»Er hat nach der Frau gefragt, die dort gearbeitet hatte. Deine Mutter, Cari. Er wollte etwas über sie wissen.«
»Weshalb denn nur?« Nichts von alldem machte Sinn. War Dan womöglich völlig verrückt geworden?
Na ja, den Eindruck erweckte er nicht gerade. Allerdings redete er jetzt mit erhobener Stimme, sodass die anderen Patienten sichtlich interessiert zuhörten, was da vor sich ging.
»Und dann stirbt deine Mutter. Und was geschieht?« Dan richtete sich auf.
Cari wartete. Ihr war klar, was jetzt folgen musste.
»Er versucht mehr über dich in Erfahrung zu bringen. Er beobachtet dich, als du am Restaurant vorbei und in die Galerie gehst. Jemand erzählt, du seist Tasmins Tochter. Daraufhin nistet er sich in dem Haus ein, in dem du wohnst, im Stock über dir. Und plötzlich« – Dan lachte – »seid ihr die dicksten Freunde.« Er sank zurück in die Kissen. »Eine bezaubernde kleine Geschichte, findest du nicht?«
Cari war sprachlos.
»Würdest du immer noch sagen, es sei Zufall gewesen, dass du ihm in Italien begegnet bist? Nein, nein, natürlich hatte er keine Hintergedanken. Aber ich wette, er hätte dich am liebsten auf der Stelle flachgelegt.«
Cari rückte den Stuhl noch weiter von Dans Bett weg. Marco. Nach und nach nahm das Puzzle Gestalt an. Die Einzelteile griffen immer besser ineinander, unbestritten. Doch je mehr sie sich zu einem Bild fügten, desto weniger gefiel ihr dieses Bild. Natürlich war das Zusammentreffen in Lucca kein Zufall gewesen. Er hatte ihre Großmutter gekannt, kannte La Sirena . Ja, selbst das Labyrinth war ihm nicht fremd gewesen. Hatte sie nicht immer den Eindruck
Weitere Kostenlose Bücher