Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
sich diesem sonderbaren Licht aus, erwärmt es das Blut.
Cari war zwei Tage zuvor wieder nach Italien zurückgekehrt und hatte sich nahezu umgehend Aurelia anvertraut, sodass ihre Großmutter nun sowohl die Geschichte von Marco wie auch Dans Bericht über Marco erfahren hatte. Marcos Handy war nach wie vor ausgeschaltet, sodass sein Schweigen als Bestätigung dessen eingeschätzt werden konnte, was Dan Cari berichtet hatte. Wenn ihm etwas an ihr läge, würde er doch bestimmt Kontakt zu ihr aufnehmen, oder? Aber es gab kein Zeichen von ihm. Vermutlich war es ihm egal, ob sie sich jemals wiedersahen. Was sollte sie sonst glauben?
Ihre Großmutter hatte sie getröstet. »Ich weiß nicht viel über die Timpones«, gestand sie. »Stefano meint, ich solle Elena fragen, und Elena rät mir, die Vergangenheit lieber ruhen zu lassen. Aber es ist ganz offenkundig, dass sich hinter alldem etwas verbirgt. Ich kann mir jedoch keinen Reim darauf machen, was es mit dir zu tun haben sollte. Wo könnte es eine Verknüpfung geben?«
Cari wusste es ebenso wenig. Sie wartete immer noch darauf, dass der Zorn den Schmerz erstickte. Sie fühlte sich benutzt und betrogen und verlangte nach einer Erklärung. Doch da Marco Misterioso für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung stand, hatten sich Cari und Aurelia entschlossen, Elena noch einmal auszufragen. Unwissenheit bedeutet keinesfalls Glück, dachte Cari, im Gegenteil. Wer unwissend war, besaß keine Waffe, mit der er kämpfen könnte.
»Wenn wir ihr erzählen, dass Marco Timpone nach England gereist war, um dich ausfindig zu machen«, sagte Aurelia, »erzählt sie uns vielleicht mehr.«
Tatsächlich erklärte sich Elena bereit, ihnen mehr zu erzählen. Beim Tee am frühen Nachmittag hatte sie Caris Darstellung gelauscht und unvermittelt vorgeschlagen: »Lasst uns doch ein wenig spazieren gehen.«
Nun waren sie beisammen.
»Heißt das, dass zwischen den Familien Streit herrscht?«, drängte Aurelia sie.
»Nein, eigentlich nicht.« Elena ließ den Blick über den Abhang gleiten. »Es liegt Jahrhunderte zurück, dass es zwischen Aurelius Timpone und Lucia Bianchi eine Liebesgeschichte gab.« Sie seufzte tief. »Nun kommt schon …« Sie stiegen die steile, gepflasterte Allee Via Frederici hinauf.
Es war nach wie vor brütend heiß. Der Himmel spannte sich im tiefen Azurblau des italienischen Sommers über das Land – azzurro , wie Elena es nannte –, und dieser Nachmittag schien niemals enden zu wollen.
»Lucia war sehr schön«, sagte Elena. »Klein, blond, aber offenbar sehr zart. Ich vermute, sie hatte keltisches Blut.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie war jedenfalls ziemlich schwach.«
Also ganz anders als Elena. Aurelia und Cari tauschten einen Blick, als sich die zierliche kleine Frau nach links wandte und mühelos die Stufen des Gässchens hinaufeilte. Hastig suchte eine in einem Hauseingang sitzende Katze, die die Sonne genoss, das Weite. Irgendwo in der Umgebung schlug ein Hund an, und in der Ferne knatterte ein Moped. Aus den Häusern drang die vergnügte, laute Unterhaltung einer Familie zu ihnen. Cari bemühte sich, das eine oder andere Wort zu erfassen, was ihr allerdings kaum gelang.
Elena wies auf einen abwärts führenden schmalen, schattigen Pfad zu ihrer Rechten, der von Jasminbüschen, Brombeergestrüpp und Unkraut überwachsen war und fast ein wenig unheimlich wirkte. »Nein, diesen Weg nehmen wir nicht«, beschloss sie.
Cari wollte schon fragen, was es mit diesem Weg auf sich hatte, als eine kleine, dralle Frau in einem schwarzen Kleid mit einem gehäkelten Schal sowie heruntergerollten schwarzen Strümpfen und verschlissenen Slippern auf die Stufen zu ihrem Häuschen trat. »Sera.« Ihr einladendes Lächeln ließ braune Zähne und Zahnlücken erkennen.
»Sera.« Elena hatte den Faden verloren.
»Haben sie geheiratet?«, fragte Aurelia, nachdem sie die obligatorischen Höflichkeiten ausgetauscht und Gute Nacht gewünscht hatten.
»Oh, ja. Sie haben geheiratet.« Elena blickte in den Himmel, als fürchte sie, es könne regnen oder als warte sie auf eine göttliche Eingebung. Doch es zeigte sich keine Wolke, und alles blieb friedlich. »Nur wenig später«, fuhr sie fort, »erwartete Lucia ein Kind.«
Schließlich hatten sie den höchsten Punkt des Dorfes erreicht. Die schmale Allee öffnete sich zu einer ovalen Piazza mit einer Kirche mit gelbem Mauerwerk und einem hoch aufragenden Campanile. Daneben erkannte man den Palazzo Comunale und die
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