Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
ein köstliches Aroma, berauschend wie ein Glas Grappa. Hatte Catarina ihn aus diesem Grund gewählt? Oder hatte Aurelia allein über die Bepflanzung entschieden? Auch der knospende Oleander war wunderschön. Wenn eine Pflanze untrennbar mit Italien verbunden war, dann diese.
»Aber wo ist der Schatten jenes Dunkels …?« Sie sahen sich um. Die Sonne schien hell, und die einzigen Schatten waren ihre eigenen und der des südländischen Matrosen.
»Im Teich vielleicht?« Stefano kniete nieder und spähte hinein. »Ganz schön dunkel da drin. Vielleicht ist der Schmuck vergraben, wie eine Schatzkiste.«
»Aber den Teich haben doch wir angelegt«, erinnerte ihn Aurelia. »Wir drei. Wenn etwas darin wäre, wüssten wir davon.«
»Und warum erwähnt Catarina Holz?«, wandte sich Cari an Enrico. »Gab es hier früher Wald?«
»Früher schon«, erwiderte Enrico. »Aber nicht mehr, als Catarina hier lebte. Und es war ihr eindeutiger Wunsch, dass das Labyrinth aus Büschen und nicht aus Bäumen bestehen soll.«
Cari empfand plötzlich Trauer für ihre Urgroßtante – für die Frau, die ihr Labyrinth nicht mehr realisieren konnte; die es geplant und sich ausgemalt hatte. Ganz umsonst? Ich danke dir, Catarina, dachte sie. Was spielt es schon für eine Rolle, dass meine Bernsteintriskele nicht die echte war? Nun sind wir alle eine Familie.
» Im Schatten jenes Dunkels muss sich auf etwas beziehen, was vor Catarinas Tod existiert hat«, überlegte Enrico.
»Etwas, was sie für das Herz des Labyrinths vorgesehen hatte«, stimmte Aurelia zu und hakte sich bei Enrico unter.
Ihr Blick glitt hinüber zu Stefano. Die beiden schienen im gleichen Moment einen Einfall zu haben.
»Was ist?« Warum sagte keiner von ihnen etwas?
»Die Bank aus Olivenholz«, murmelte Stefano und starrte darauf. »Die Bank ist das gewund’ne Holz . So muss es sein. Sie ist schon seit Generationen in der Familie. Im Grunde hätten wir längst darauf kommen können.«
Enrico nickte. »Bestimmt ist sie im Lauf der Jahre Zeuge zahlreicher Geheimnisse geworden.«
Alle starrten auf das vergraute Holz.
Cari lachte. Wie viele Male hatten sie darauf gesessen? Vor allem Aurelia. Es war ihr Lieblingsplatz. »Und wo könnte der Anhänger versteckt sein? In einem der Füße?«
»In einer der Armlehnen«, sagte Stefano und blickte auf die starren Lehnen. »Ich bin mir ganz sicher.«
Die Gäste tanzten immer noch ausgelassen, als die fünf zum Haus zurückkehrten.
Mehrere Leute umringten eine Person, die in einem Stuhl am Eingang des Festzeltes saß.
»He!« Gianmario kam auf sie zu. »Hallo, Marco!«
O nein. Cari erschrak. Bei der ganzen Aufregung hatte sie völlig vergessen, dass Marco hier unerwünscht war.
» Ciao! Toll, dass du es einrichten konntest.« Sie wechselten einen festen Händedruck, umarmten einander und klopften sich gegenseitig auf den Rücken.
Toll, dass du es einrichten konntest? Cari blinzelte überrascht. Er war eingeladen? Warum hat er keinen Ton davon gesagt?
»Deine Großmutter ist hier.« Gianmario deutete auf die Leute beim Zelteingang. »Allerdings ist sie ziemlich erschöpft.«
Marco fluchte leise. »Das war ja nicht anders zu erwarten. Schließlich hat sie das Haus seit zehn Jahren nicht mehr verlassen.«
Elena stand neben Sara und reichte ihr einen Grappa.
»Um Gottes willen, nein.« Marco trat auf sie zu. »Großmutter.«
»Ah, da bist du ja.« Sara schwenkte ihren Stock. »Ist das Mädchen auch dabei, hm?«
»Ich bin hier, Sara.« Cari kam näher und wappnete sich innerlich gegen einen erneuten Schwall von Beschimpfungen. Auch wenn Sara alt und gebrechlich war, blieb sie doch die furchteinflößende Matriarchin, mit der nicht gut Kirschen essen war.
»Für dich will mein Enkel seine Herkunft verleugnen.« Saras Stimme klang erstaunlich fest. »Was hast du dazu zu sagen?«
Was sollte Cari sagen? Vermutlich – falls es stimmte – dass sie geschmeichelt war. Aber wie konnte es mit ihr und Marco jemals gutgehen, wenn seine Familie sie ablehnte und die Beziehung missbilligte? Ganz tief im Innern würde er ihr immer ein wenig die Schuld dafür geben. Und vielleicht eines Tages mehr als nur ein wenig. Sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass eine Familie auseinanderbrach. Unter diesen Bedingungen wollte sie Marco nicht.
Bevor sie antworten konnte, stand plötzlich Stefano an ihrer Seite. Er legte kurz den Arm um ihre Schultern und ging dann direkt auf Sara zu, die wie eine lauernde Kröte auf ihrem Stuhl
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