Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
war.
»Daher muss ich dringend mit dir darüber reden.« Elena rückte den Stuhl näher an Aurelia heran.
Doch Aurelia war mit den Gedanken ganz woanders. Auf dem polierten Tresen stand eine Vase mit herrlichen rosaroten Stargazer Lilien, deren Duft bis zu ihr drang. »Um was geht es denn dabei?«, fragte sie. Dass die Italiener Hochzeiten sehr ernst nahmen, wusste sie, hatte aber nicht die geringste Vorstellung, was das Problem sein könnte.
»Wir suchen den passenden Ort für die Feier«, sagte Elena, »und sind ziemlich verzweifelt. Wir brauchen viel Platz – sowohl im Haus als auch im Freien. Der Ort sollte stilvoll und gleichzeitig abgeschieden gelegen sein. Auf Zaungäste, peeping Toms , legen wir keinen Wert.« Als sie das sagte, fragte sich Aurelia erstaunt, wo sie diesen englischen Ausdruck aufgeschnappt haben mochte. Erneut verbiss sie sich ein Lachen.
»Tja, ich weiß nicht …« An den Wänden des Cafés hingen ein paar moderne Kunstwerke, die jedoch keinerlei Bezug zu Italien besaßen. Aurelia zog die Nase kraus. Vermutlich war sie voreingenommen, aber ihr gefiel das an der hinteren Wand des Cafés in Sepia gehaltene Foto von Tellaros Küstenstreifen nun einmal besser. Ein Segen, dass mehr oder minder alles unverändert geblieben war. Tellaro war zwar ein Touristenmagnet, hielt jedoch an seinem Verbot fest, Gästezimmer zu vermieten.
»Mein Haus ist dafür leider viel zu klein«, warf Elena ein.
»Das stimmt.« Aurelia hätte zu gern durchschaut, worauf das Gespräch abzielte. War sie vielleicht immer noch benommen von der Sonne? Sie nippte an dem starken, cremigen Kaffee, der voll und ganz ihrem Geschmack entsprach. Manchmal bekam sie den Eindruck, man könne das Land von Norden nach Süden und von Westen nach Osten durchqueren und vollkommen sicher sein, dass der Kaffee überall erstklassig war.
»Das Fest in einem Privathaus zu feiern wäre doch …« – Elena seufzte tief – »wunderbar.«
»Ja, gewiss.« Aurelia löffelte den restlichen Schaum aus der Tasse. Ob sie am Abend wohl noch ein paar Skizzen anfertigen oder sogar mit dem Bild beginnen könnte? Etwas an dem Bild, das sie von dem Labyrinth malen wollte, löste diesen drängenden Impuls in ihr aus. Zudem fühlte sie dort eine verborgene Energie, die sie aufspüren und sich zu eigen machen wollte. Wenn es mir nicht gelingt, das Geheimnis in Worte zu fassen, kann ich es vielleicht im Bild festhalten, überlegte sie. Möglicherweise lässt sich ja auf diesem Weg Klarheit gewinnen.
Elena betrachtete sie einen Augenblick, schüttelte verzweifelt den Kopf und legte ein paar Euro auf das Damasttischtuch. »Lass uns spazieren gehen«, schlug sie vor.
Die beiden Frauen verließen das Café, hakten sich unter und überquerten den herrlichen Platz, vorbei an dem dekorativen Oleander und den Kübeln mit orangefarbenen Lilien. Elena schnalzte leise mit der Zunge, als hätte etwas (Tellaro? Oder Aurelia?) sie traurig gestimmt. Sie stiegen hinab zur Via Della Pace , die nur unwesentlich breiter war als eine Gasse, und spazierten durch den Portikus hinunter zum Meer. Aurelia hätte gern einen Umweg gemacht, um Alfonzos Galerie einen kurzen Besuch abzustatten, doch ein Blick auf Elenas entschlossene Miene genügte, um diesen Wunsch zu unterdrücken. Was immer Elena im Sinn hatte, sie sollten rasch darüber reden, damit sich die Spannung löste.
Zu beiden Seiten der mit Kopfstein gepflasterten Straßen standen hohe, terrassenförmig angelegte Häuser, deren ausgebleichter ocker- und rosafarbener Anstrich zum Teil abblätterte und den Blick auf die verwitterte Steinmauer freigab. Dennoch sind die Zeichen einstiger Erhabenheit und Pracht spürbar, dachte Aurelia. Die Strahlen der Nachmittagssonne legten sich sowohl auf den Marmor als auch auf die Mosaike von Eingangsstufen und Fensterbänken sowie auf die alten Laternen und die bereits mit roten Geranien geschmückten Blumenkästen, die vermutlich bald noch üppiger blühen würden. Obwohl Tellaro verwahrlost, ja beinahe verfallen ist, verbreitet es dennoch einen außergewöhnlichen Charme, dachte Aurelia. Sie hatte für die Galleria d’Arte zahlreiche Bilder von den Alleen und der Piazza, aber auch von den Fischerbooten und dem Hafen gemalt.
»Ein Privathaus …«, nahm Elena das Gespräch wieder auf, als sie die Treppe zu dem Felsvorsprung hinunterstiegen, »… mit Atmosphäre. Verstehst du?«
Und plötzlich begriff Aurelia. »Enrico …«
»Glaubst du, er würde sich darauf einlassen?«,
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