Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
Vom Netzwerk:
sie nun täglich vom Frühlingsanfang bis zum Hochsommer begleitete.
    »Was ist das?«, fragte sie Enrico und deutete auf die Pflanze, die einer auf Catarinas Zeichnung ähnelte.
    »Sternjasmin«, erklärte er. »Er steht für die Liebe, die Sinnlichkeit und prophetische Träume.« Er lachte. »Er gefällt dir, no ?«
    Ja, er gefiel Aurelia. Liebe, Sinnlichkeit und prophetische Träume. Welche Pflanze hätte besser zu dem Oleander im Labyrinth gepasst? Welcher Duft hätte eher das Verheißungsvolle dieser Frühlingstage widerspiegeln können? Honig und Mandel. Die beiden Pflanzen ergänzten sich perfekt.
    Aurelia rückte ihren Sonnenhut zurecht. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Schon als sie Enricos Garten zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie gespürt, dass etwas fehlte. Hinter den Kräutern, der Terrasse und dem ovalen Pool erstreckte sich ein riesiges … Nichts. Nur Gras und Sandflächen, gesäumt von Mandelbäumen und Pinien. »Was kommt da hin?«, hatte sie ihn gefragt.
    Er hatte sie bei der Hand genommen und in jenen Teil des Gartens geführt. »Nichts«, sagte er schlicht. »Catarina hatte Pläne, aber …«
    Und Aurelia verstand. Sie streichelte seine Hand, denn sie waren Freunde geworden, und sie war schon immer der Überzeugung gewesen, dass Freunde einen wichtigeren Rang einnahmen als Liebhaber. Keine Spielchen. Keine Hintergedanken. Kein Verrat. Und ihr wurde klar, dass Enrico in Bezug auf den Garten nichts unternehmen konnte. Eigene Pläne zu verwirklichen war ihm verwehrt, denn dies würde bedeuten, den Wünschen der Frau zuwiderzuhandeln, die er geliebt hatte. Ebenso wenig konnte er Catarinas Pläne in die Tat umsetzen, nun, da sie tot war. Es wäre zu schmerzhaft. Es war unmöglich. Oder nicht?
    »Warum?«, hatte er zunächst gefragt. »Ein Labyrinth ist viel zu viel Arbeit. Warum solltest du dir diese Mühe machen?«
    Ein Labyrinth …
    Rein zufällig war Aurelia auf die Pläne gestoßen. Sie hatte den alten Sekretär ausgeräumt, den Enrico restaurieren lassen wollte, und da lagen sie … Ein zusammengerolltes Blatt Papier, eine Skizze, die den Garten darstellte, ein Brief. Ungläubig starrte Aurelia auf die Skizze. Ein Labyrinth in Form einer Triskele?
    Natürlich dachte sie sofort an ihren wertvollen Anhänger. Nie hatte sie ihn vergessen, obwohl es lange her war, dass sie den schillernden Bernstein betrachtet und mit dem Finger über die spiralförmige Gravur gestrichen hatte. Das war 1974 gewesen. Kurz darauf hatte sie zusehen müssen, wie die Kette wütend durch den Raum geschleudert wurde und unter ein Sofa rutschte.
    Dieser prachtvolle, herrliche Bernsteinanhänger. Ihr ganz besonderer Talisman. Der Trost ihrer Kindertage. Wenn sie ihn aus seinem Versteck in der hintersten Ecke der Sockenschublade befreit und ins Licht gehalten hatte … Wenn sie mit der Fingerspitze über den warm leuchtenden Bernstein gestrichen und die kleine Libelle betrachtet hatte – gefangen wie sie selbst …
    Was für ein unglaublicher Zufall, dass Catarina ein Labyrinth in Form einer Triskele geplant hatte! Warum sollte Aurelia auch die einzige Frau auf der Welt sein, die um die Symbolik der keltischen Triskele wusste? Und hatte nicht Enrico Catarinas großes Interesse für dieses Thema erwähnt, als sie sich kennengelernt hatten, als er ihr Gemälde mit der dreifachen Spirale sah?
    »Sie hat sich dieses Labyrinth so sehr gewünscht«, hatte sie Enrico geantwortet. »Es war ihre Idee.« Sie dachte an den Brief, den unfrankierten, versiegelten Umschlag, den sie bei den Plänen gefunden hatte. Eines Tages war er verschwunden – sie meinte gesehen zu haben, wie der kleine Stefano ihn unter sein Hemd gesteckt hatte und damit die Treppe hinaufgerannt war. Beinahe hätte sie ihn aufgehalten. Aber warum sollte sie? Catarina war seine Mutter, der Umschlag gehörte zu ihren Sachen.
    »Keine gute Idee«, hatte Enrico gebrummt. »Eine verrückte Idee. Wer legt schon in seinem eigenen Garten ein Labyrinth an?«
    Ja, wer?
    Aurelia setzte sich auf die Bank aus Olivenholz und atmete tief den honigsüßen Duft des Jasmins ein. Es war wieder da, sie hatte Recht gehabt.
    Im ersten Frühling, nachdem sie alle Pflanzen gesetzt hatten, hatte Aurelia es zum ersten Mal gespürt. Etwas – oder jemand – war hier bei ihr im Labyrinth. Sie war sich ganz sicher. Es war nicht der Wind, der durchs Laub strich, oder das Summen der Insekten. Auch nicht das entfernte Rauschen der Brandung oder das Dakdakdak einer Ape – des

Weitere Kostenlose Bücher