Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
Hortensien bepflanzt hatte.
Elena drückte Aurelias Arm und schmiegte sich an sie. »Ich kann es kaum erwarten, dir die Neuigkeiten mitzuteilen«, flüsterte sie.
In Aurelias Fiat fuhren sie auf der reizvollen Küstenstraße nach Tellaro. Auf der einen Seite führten Wege und kleine Straßen zu den terrassierten Olivenhainen, den Weingärten und ortos , in denen die Dorfbewohner Obst und Gemüse anbauten. Auf der anderen Straßenseite nahmen Pinien und die rankenden Glyzinien die Sicht auf versteckt liegende Villen, wie die auf dem Felsen thronende La Sirena , von der sich ein überwältigender Blick über den Golf von La Spezia bot.
Aurelia parkte den Wagen, und sie spazierten den Hügel hinunter. Sollte sie Elena von der seltsamen Erscheinung im Labyrinth erzählen? Enrico gegenüber hatte sie damals kein Wort über die Geschehnisse verlauten lassen. Zwar war sie in den letzten Jahren ein-, zweimal versucht gewesen, ihm davon zu berichten, doch sie hatte diese Absicht jedes Mal wieder verworfen, sobald sie ihm anmerkte, dass er sie für verrückt halten würde. Sie überlegte, wie sie ihre Gefühle auf der Leinwand darstellen sollte. Dazu lief sie für gewöhnlich vorher in ihrem Atelier auf und ab und formulierte ihre Überlegungen laut, was ihr normalerweise die Entscheidung erleichterte. Aber … für wie verrückt sollten die anderen sie denn halten?
Die gewundene Straße führte vorbei an terrakottafarben gedeckten Dächern, senfgelben und dunkelroten Gebäuden mit schmalen Balkonen und grünen Fensterläden, an ausgetretenen Stufen, die zu steilen, mit Palmen und Orangenbäumen bewachsenen Hängen führten. Aurelia sog den intensiven, die Luft erfüllenden Duft der Zitrusgewächse ein. Der Wohlgeruch des italienischen Frühlings.
Sie spazierten auf die Piazza zu. Entsprechend ihrer praktischen Denkweise würde Elena vermutlich wie Enrico reagieren. Und sie ebenso, sollte jemand den Verdacht äußern, in ihrem Park wäre ein Labyrinth, in dem … Ja, was? Eine rätselhafte Kraft ihr Unwesen trieb? Trotz der Wärme fröstelte es Aurelia. Was sagte das über sie aus? Schließlich war sie es gewesen, die das Labyrinth gepflanzt hatte.
Hier und dort erhaschte sie einen Blick auf das ruhige Meer und die am Ende der Landzunge kauernde, rosarot gestrichene Barockkirche. Nein. Sie würde Elena nichts davon erzählen. Es sollte ihr Geheimnis bleiben – zumindest im Augenblick.
»Caffè?« , fragte Elena, als sie die Piazza erreicht hatten.
»Ja, gern!«
Da alle Tische auf dem glitzernden Platz aus Marmor besetzt waren, entschieden sie sich, in dem kühlen Innern des Cafés Platz zu nehmen. Elena bestellte Milchkaffee und biscotti .
»Heraus mit den Neuigkeiten!«, drängte Aurelia, als sie wenig später in Korbstühlen an einem der runden, mit rosafarbenen Damasttischtüchern gedeckten Tischen saßen. Auch der Boden und die Wände des Cafés waren aus Marmor. Obwohl sie in unmittelbarer Nähe zu dem für seine Marmorsteinbrüche berühmten Carrara lebten, würde sich Aurelia nie an all den Marmor um sie herum gewöhnen können. Ihr erschien das schlichtweg dekadent.
Elena faltete ihre mit Ringen geschmückten Hände und beugte sich vor. »Es geht um Carmella«, sagte sie. »Sie heiratet.«
»Wie schön!« Aurelia kannte die Tochter von Elenas Stiefsohn zwar nicht näher, hatte sie aber schon oft auf Familienfeiern gesehen und wusste, dass Elena, die zu ihrem Leidwesen selbst keine Kinder hatte bekommen können, Carmella als die Enkelin betrachtete, die ihr verwehrt geblieben war. Insbesondere nachdem Carmellas Eltern gestorben waren.
»Ich bin ganz deiner Meinung«, bekräftigte Elena. »Aber im Augenblick weiß ich einfach nicht weiter.«
»Wie bitte?« Aurelia warf ihr einen liebevollen Blick zu. Obwohl sie nicht auf die Neigung der Italiener zur Dramatik hereinfiel, war sie unendlich dankbar, dass ihr diese außergewöhnliche Frau den Zugang zu Enricos Leben und damit auch zu ihrer Welt ohne Vorbehalte gewährte. Aurelia wusste, dass sich Enrico nach Catarinas Tod an seine Schwägerin mit der Bitte um Unterstützung für sich und Stefano gewandt hatte. Trotz ihres eigenen Schmerzes hatte Elena ihm selbstlos zur Seite gestanden. Die meisten Frauen wären mehr als verstimmt darüber gewesen, dass Enrico Aurelia in sein Haus aufgenommen und sogar in die Familie integriert hatte. Elena hingegen hatte sie sofort mit offenen Armen aufgenommen, wofür ihr Aurelias Zuneigung bis an ihr Lebensende sicher
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