Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)
für so etwas eigneten sich Nudeln hervorragend. Die Trauer wirkt sich auf alle Bereiche des Lebens verheerend aus. Sie versucht alles zu verhindern, was einem Kraft gibt – essen, lächeln, schlafen, lachen.
»Bitte?«, fragte sie Dan. Er wirkte sehr selbstsicher. Zum ersten Mal erkannte sie, dass ihr Schmerz in gewisser Weise sein Wohlbefinden steigerte, ihre Zerbrechlichkeit ihn stärkte. Und sie wusste nicht so genau, was sie davon halten sollte.
»Ich glaube nicht, dass dir das guttut, Baby.«
»Was meinst du damit?« Er hatte ausgesprochen, was sie dachte. Aber sie waren nicht auf derselben Wellenlänge, nicht einmal ansatzweise. Sie spürte, wie sie sich ihm gegenüber verschloss. Wie ein Fächer, der plötzlich zusammengeklappt wird. Im Augenblick schien jede seiner Äußerungen sie zu reizen, und sie hatte keine Ahnung, warum. Zunächst – nach Tasmins Tod – hatte sie sich bei ihm angelehnt, jetzt hätte sie ihn am liebsten weggeschoben. Nicht gerade das, was man als vernünftiges Verhalten bezeichnen würde. Aber wie sollte sie auch im Moment vernünftig sein können? Die Trauer und der Schlafmangel machten sie benommen, sie fühlte sich schwindlig, als befände sie sich in einer surrealen Welt, nicht ganz bei Bewusstsein und ganz bestimmt nicht bei Dan. Er hatte sich nicht verändert. Doch wie stand es mit ihr?
»Du …« Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen. »Du kultivierst deine Trauer ja geradezu.«
»Ich kultiviere meine Trauer?« Sie starrte ihn an. »Bist du wirklich dieser Meinung?«
»Nicht direkt.« Er schob sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund.
Cari sah weg. Warum hatte er es dann gesagt?
Sie wusste doch nicht einmal, ob sie überhaupt hier sein wollte. Das Restaurant war eines von vielen italienischen Restaurants zwischen der Strandpromenade und der North Street. Dieses lag in der Nähe von The Lanes. Im Grunde waren sie alle gleich. Dunkelhäutige Kellner mit einem aufregenden Akzent – sie musste an den Italiener denken, der vor ihrem Laden gestanden hatte – servierten Pasta oder Pizza, Salat und Knoblauchbrot. An den Wänden hingen Drucke mit mediterranen Motiven, die Speisekarte offerierte zweitklassigen italienischen Wein.
»Na ja, irgendwie schon …«, fuhr er fort. »Es wirkt eben fast …«
Cari wartete. Krankhaft? Traurig? Schließlich hatte der Tod etwas Krankhaftes und Trauriges an sich. Er war auch im wahrsten Sinne des Wortes fatal, wo also lag sein Problem?
»Fast als würdest du es genießen.«
Ihr Stuhl schrammte über die Holzdielen, als sie abrupt aufstand.
»Cari …«
»Meine Mutter ist tot«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich sehe ihre Sachen durch. Finde alles Mögliche. Treffe Entscheidungen. Denke über vieles nach.« Und stelle mir Fragen. Über mich selbst, über Tasmin … Wie sollte ihr jemand das Recht darauf verweigern? Dieses »Kultivieren«, wie er es nannte, war Teil der Trauerarbeit. Oder etwa nicht?
»Setz dich!« Die ruhige Autorität in seiner Stimme ließ sie gehorchen, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Sie wollte kämpfen, aber irgendwie fehlte ihr die Kraft dazu. Und vielleicht brauchte sie genau jemanden wie ihn. Vielleicht sollte sie sich nicht allein und gebrochen ins Nimmerland zurückziehen, sondern jemandem zugestehen, für sie die Entscheidungen zu treffen, die Probleme von ihr fernzuhalten und sie mit einer süßen Droge zu versorgen, die das Vergessen leicht machte und den Schmerz betäubte. Sie wartete.
Er beugte sich vor. »Ich würde dir ja helfen«, sagte er. »Ich möchte dir helfen.«
War es das? Sie durfte ihre Trauer kultivieren, solange sie Dan dabei einbezog? Aber sie war jetzt nicht fair, er machte sich doch nur Sorgen um sie, wollte immer nur ihr Bestes. »Nein.« Sie hob ihre Serviette auf, die auf den Boden gefallen war. Zigmal hatten sie das schon durchdiskutiert. Weshalb konnte er es nicht endlich akzeptieren?
»Warum nicht?«
»Weil ich deine Hilfe nicht will.« Das war hart. Woher hatte sie den Mut dazu genommen?
Er lehnte sich zurück. »Ich könnte einen Entrümpelungsdienst engagieren«, schlug er vor. Sie spürte seinen prüfenden Blick.
»Entrümpelungsdienst?« Sie blinzelte.
»Die nehmen alles.« Er breitete die Arme aus, um ihr anzudeuten, was dieses »alles« umfasste. »Du bräuchtest dir keine Gedanken mehr zu machen, Cari. Du könntest endlich wieder leben wie zuvor.«
Alles. Heute hatte Cari eine Tragetasche auf Edwards Ladentisch ausgeleert, um ihm einige Arbeiten ihrer
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