Das Erbe des Greifen
räusperte sich hastig. »Dies, so der Oberst, sei unsere Aufgabe. Und wir lagern hier, um den Grafen von Berendall daran zu erinnern, dass es besser für ihn wäre, würde auch er die Gelehrten unterstützen.«
»Und? Tut er es?«
»In Maßen. Zumindest behindert er sie nicht.«
»Haben die Gelehrten bislang Erfolge zu verzeichnen?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete der Leutnant. »Aber wenn es so wäre, hätten wir es wohl schon mitbekommen. Der Golem soll an die vierzehn Mannslängen groß sein.« Er legte den Kopf nachdenklich zur Seite. »Die Gelehrten haben ein Haus in der Stadt gemietet und halten sich daher nicht sehr oft im Lager auf. Aber ich hörte noch etwas anderes. Angeblich sollen sie herausgefunden haben, dass es einer Seele bedarf, um den Golem zu neuem Leben zu erwecken.« Er schluckte. »Sie sprachen mit dem Hohepriester darüber, worauf dieser nur meinte, dass sich das wohl einrichten ließe.«
Graf Lindor rieb sich die Schläfen, in der letzten Zeit waren seine Kopfschmerzen fast schon unerträglich.
»Danke, Heskel«, meinte Lindor nach einer Weile.
»Ser, der Baron wartet noch immer.«
Lindor seufzte.
»Gebt mir noch etwas Zeit, dann schickt ihn hinein.« Er atmete tief durch. »Nach dem Besuch seiner Eminenz wird es mir sicherlich ein Vergnügen sein, den Baron zu empfangen. Ach, Heskel?«
»Ja, Ser?«
»Ich brauche einen guten Zeichner für zwei Steckbriefe. Treibt einen für mich auf.«
»Ja, Ser.«
Ein neuer Untertan
»Es ist mir eine Ehre, Euch meine Aufwartung machen zu dürfen, Graf Lindor«, waren die ersten Worte des Barons Vidan. Sie bargen keine Überraschung für den Grafen, denn wie schon zuvor beim Priester verriet der erste Anblick den ganzen Mann. Der Graf hätte darauf wetten mögen, dass sich der Obrist Leklen und der Baron bestens miteinander verstanden. Ihn geckenhaft zu nennen wäre nicht treffend genug gewesen. Und ihn als eitlen Pfau zu bezeichnen eine Beleidigung für die stolzen Vögel.
Zudem hatte sich der Baron anscheinend schwerlich für eine Farbe entscheiden können. Auf seinem Wams, das mit Goldfäden durchwirkt war, stritten sich Gold, Rot, Silber und Königsblau um den ersten Platz. Seine eng anliegende Lederhose schmeichelte einem Geschlecht, das entweder ein Schrecken für alle Frauen darstellte oder einen ausgestopften Socken enthielt. Der Graf vermutete entschieden das Letztere. Und um dem Ganzen noch eine besondere Note zu verleihen, hatte der Baron außerdem noch ein penetrantes Duftwasser aufgelegt, das die Luft in Lindors Schreibstube in wenigen Augenblicken schwängerte und ihm die Tränen in die Augen steigen ließ.
Viel wusste der Graf nicht über den Mann, nur das, was Leutnant Heskel ihm auf die Schnelle mitgeteilt hatte, und das war wenig genug. Eines aber war Lindor bekannt: Mislok war keine reiche Baronie. Doch den Baron schien das wenig zu stören, hatte er es dessen ungeachtet doch verstanden, so viel Gold aus seinen Untertanen herauszupressen, dass er ein Wams trug, von dem sich ein ganzes Dorf ein Jahr lang ernähren konnte! Das Schwert an der Seite des Edelmanns war mit Perlen und Edelsteinen übersät, der Brustpanzer reich graviert und verziert. Der Baron, dachte Lindor voller Ingrimm, war wahrlich ein Mann ganz nach dem Herzen des Obristen! Auch am Hof der Kronburg wäre der Mann gewiss nicht fehl am Platz gewesen.
»Nun, gut, wie dem auch sei«, erwiderte Lindor die Begrüßung des Barons sichtlich unbeeindruckt. »Ihr habt ausrichten lassen, es wäre wichtig. Ich hoffe, ich habe Euch nicht zu lange warten lassen.«
»Gewiss nicht«, antwortete der Baron mit einem strahlenden Lächeln, durch das sein spitzes Kinn betont wurde. Er hatte dunkle, kleine und etwas zu dicht beieinanderstehende Augen, aber sein langes, blond gelocktes Haar erweckte gewiss den Neid so mancher Frau.
Hätte Lindor nicht schon viel Zeit bei Hofe verbracht, hätte er den Baron wohl bestaunt wie ein seltenes Tier. So aber wusste er, dass er den Mann nicht unterschätzen durfte. Leute wie der Baron mochten zwar andere Schlachten schlagen als er, doch waren sie deshalb nicht minder tödlich. Letztlich bestand zwischen diesem Paradiesvogel und den Gecken am Hofe Thyrmantors nur der eine Unterschied, dass Letztere oftmals über echte Macht und Einfluss verfügten.
Und so überraschte den Grafen die Antwort des Barons, der immerhin mehr als eine Kerze gewartet hatte, nicht im Mindesten.
»Gut«, sagte Graf Lindor und nahm hinter seinem
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