Das Erbe des Loewen
zählte, sein Leben mit Untaten verbracht. Doch diesmal hatte er Größeres vor, als Vieh zu stehlen oder Gehöfte niederzubrennen. Das Wild, das er diesmal jagte, war von weitaus größerem Wert. Erregung erfasste Henrys Körper unter der wollenen Tunika und der wertvollen französischen Rüstung. Er sah empor in das Geäst der starken Kiefer, gegen die er sich lehnte, während er darauf wartete, dass die Nacht hereinbrach. „Wie lange noch, ehe wir angreifen können?“
„Verwünscht sei das Glück. Wir müssen warten.“ Sein Spion sprang zur Erde und landete sanft wie eine Katze auf den Füßen.
Henry runzelte die Stirne. „Was nun?“
„Sie haben einen Posten außerhalb des Passes aufgestellt“, berichtete er. Die unnatürliche Heiserkeit in seiner Stimme lenkte Henrys Aufmerksamkeit auf die runzelige, blutunterlaufene Narbe an seinem Hals. Es sah aus, als hätte jemand versucht, ihm die Kehle durchzuschneiden. Wahrscheinlich ein MacLellan, schloss er aus der Bereitwilligkeit des Schotten, den Clan zu verraten.
Es war bezeichnend für Henrys Verzweiflung, dass er einen Mann angeheuert hatte, dessen Namen er nicht einmal kannte. Henrys Unbehagen wuchs. „Du sagtest, sie hatten dies niemals zuvor getan. Warum also jetzt?“
„Woher soll ich das wissen? Vielleicht erwarten sie uns.“ Mit einem Ruck schlug der Schotte seinen abgetragenen Umhang zurück und offenbarte ein abgenutztes Schwert. Die Kleidung, die er trug, soweit Henry das sah, schien die einzige, die er besaß. Obwohl aus guter Wolle, war sie dünn und zerfetzt. Der goldene Faden an Kragen und Saum der Tunika glänzte matt. Entweder hatte er sie gestohlen, oder er war ein Edelmann, den das Glück verlassen hatte. Was auch immer, er war gefährlich. „Wenn schon, sie werden mich diesmal nicht unvorbereitet finden“, brummte der Schotte.
„Diese Verteidigung ist ein Zeichen dafür, dass du den alten Duncan nicht getötet hast“, sagte Henry streng.
„Der Versuch musste gewagt werden.“ Der Schotte blickte düster drein. „Wenn Ihr die Verstärkung rascher geschickt hättet, dann hätten wir sie erwischt...“
„Ich kam so schnell wie möglich, obwohl ich von meinen eigenen Vorbereitungen schwer abkömmlich war“, entgegnete Henry.
„Die MacLellans sind Weichlinge, ich hätte nicht gedacht, dass sie uns so wild bekämpfen. Doch dieses Mal werden wir hineingelangen, und es wird genauso sein, wie ich sage.“
Henry blickte wieder zu den Bergen. „Das wird auch besser sein.“
„Keine Angst, Mylord. Ich halte Wort. Ehe zwei Wochen vorbei sind, seid Ihr der nächste König von Schottland.“
„Was?“
Der Schotte lächelte. „Ich weiß, was Ihr vorhabt.“
Henry erschrak. Unmöglich. Niemand kannte das wahre Ausmaß seiner Absichten. „Wie kannst du das wissen?“
„Warum sonst würdet Ihr so darauf erpicht sein, heimlich mit einem Heer quer durch Schottland nach Edinburgh zu gelangen? Doch seid sicher, ich werde nichts verraten. Unsere Ziele sind eng verbunden. Auch ich möchte besitzen, was mein sein sollte ... Edin Valley.“ Er hielt kurz inne. „Edin ist vortrefflich für Euren Zweck geeignet. Ihr könnt durch das Tal marschieren bis ans andere Ende und kommt nur einen Tagesmarsch von Edinburgh entfernt heraus. Dadurch alarmiert Ihr nicht die Landbevölkerung und weckt die Clans nicht.“
„Ein zweiter Pass? Vielleicht könnten wir auf diesem Weg besser in Landesinnere gelangen.“
„Das ist ein Geheimnis, welches nur der Laird kennt. Ich habe die Hügel monatelang nach dem Weg abgesucht, doch vergeblich.“
Henry runzelte die Stirn. „Warum habe ich noch nie zuvor von diesem Ort gehört?“
„Ich sagte Euch, die MacLellans leben zurückgezogen wie ein Clan von Einsiedlern. Das meiste, was sie zum Leben brauchen, kommt aus dem Tal. Sie haben eine Mühle, um das Korn zu mahlen, die Bäume hängen voll reifer Früchte, und zahlreiches Wild lebt in den Wäldern. Für Salz, Gewürze und andere Dinge geht Duncan einmal im Frühling und im Herbst auf den Markt nach Kindo. “
So hatte der Schotte dem alten Mann aufgelauert ... mit der Hilfe von Henrys Männern.
Henry betrachtete die stille Landschaft. Dankbar dafür, dass niemand außerhalb Edins von dem Überfall wusste. Seine Pläne waren ohne diese List gefährdet, deshalb war Edin Valley das, wonach er gesucht hatte. Ein Ort, an dem er seine Truppen heimlich zusammenziehen würde, um dann Schottland anzugreifen, noch ehe jemand Alarm geben konnte. Bis der
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