Das Erbe des Vaters
herauszusuchen. »Ich möchte, daß du jetzt gehst, Heidi«, sagte er, bemüht, einen festen Ton anzuschlagen. »Auf der Stelle.«
»Wenn meine Mutter wüßte, daß ich bei dir im Bett war, müßtest du mich wahrscheinlich heiraten.«
Ihm wurde der Mund trocken. »Mach dich nicht lächerlich, Heidi.«
»Ich würde sagen, daß du mich gezwungen hast. Und sie würde mir glauben, Caleb.«
O ja, das würde sie. Bestenfalls würde sie ihnen beiden die Schuld geben, und er würde das meiste abbekommen, weil er der ältere war. Er sah sich schon vor dem Altar stehen, auf seiner einen Seite Heidi in weißem Satin, der über ihren Brüsten spannte, auf der anderen Mrs. Talbot mit einem Gewehr in den Händen.
Er zog das Hemd an und setzte sich ans Fußende des Betts. »Heidi«, sagte er, »das ist sehr – sehr aufregend –, aber es kommt wirklich nichts dabei heraus.«
»Ich würde es tun«, sagte sie. »Glaub ja nicht, daß ich es nicht tun würde.« Ihre Augen waren hart und dunkel wie Flaschenglas.
»Doch«, sagte er, »das ist mir schon klar. Es ist nur –« er seufzte – »zu jeder anderen Zeit …« Er hob die bandagierte Hand.
Sie machte ein mißtrauisches Gesicht, sagte aber doch: »Tut es weh?«
Er nickte. »Ganz schön, ja.«
»Ich könnte dir ein Aspirin holen.«
»Ach, ja, das würde vielleicht helfen. Und –«, er lächelte sie an – »ich habe plötzlich Hunger bekommen. Würdest du mir vielleicht doch ein Brot machen?«
Sie zog die Augenbrauen zusammen und sah ihn weiterhin argwöhnisch an. Aber dann sagte sie: »Na schön«, und stieg aus dem Bett. Sie trug einen dunkelblauen Schlüpfer. Rasch fuhr sie in Rock und Bluse. »Was magst du lieber – Schinken oder Ölsardinen?«
»Ölsardinen.« Das würde länger dauern, hoffte er. Ehe man da all die kleinen Gräten entfernt hatte … Er stellte sie sich vor, wie sie keuchend mit einem spitzen Messer in den unglückseligen kleinen Fischen herumstocherte.
Sobald sie außer Hörweite war, riß er seinen Rucksack vom Haken und stopfte alle seine Habseligkeiten hinein. Viel hatte er nicht, nur ein paar Kleidungsstücke und Bücher. Er legte etwas Geld für die unbezahlte Miete auf die Kommode, dann schlich er auf Zehenspitzen nach unten.
Er hörte Heidi in der Küche rumoren, Brot schneiden, Dosen öffnen. Lautlos zog er die Haustür auf. Sobald er im Freien war, begann er zu laufen.
Er nahm den nächsten Zug nach London. Teils, weil er möglichst weit weg wollte von Heidi Talbot, und teils, weil ihm nichts anderes einfiel. Alec würde ihn vielleicht auf seinem Sofa schlafen lassen. Oder sonst würde ihn vielleicht Mrs. Zbigniew für die Nacht aufnehmen, er wußte, daß sie ihn gern hatte.
Zuerst landete er im Fitzroy, wo er zur Beruhigung seiner Nerven schnell hintereinander zwei Whisky trank. Er saß vor dem dritten, als ihm jemand die Hand auf die Schulter legte und »Hallo, Caleb«, sagte. Es war Romy Coles Freund Jake.
Romy hatte das Gefühl, völlig aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Es überraschte sie, daß es ihr so viel ausmachte. Schließlich war sie doch ohnehin drauf und dran gewesen, mit Tom Schluß zu machen, als er es getan hatte. Sie hatte Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was sie gerade tat, und nicht ständig zu vergessen, was und wohin sie gerade wollte.
Mrs. Plummer kam aus dem Krankenhaus zurück. Auch sie hatte sich verändert: Sie schien stiller zu sein, blasser, zarter. Drei Tage hintereinander arbeiteten sie bis in die Nacht hinein, um zu erledigen, was wegen Mrs. Plummers Abwesenheit hatte liegenbleiben müssen. Am vierten Abend scheuchte Mrs. Plummer sie hinaus. Sie solle ausgehen und sich amüsieren, sagte sie. Sie war selbst zum Ausgehen gekleidet und sah sehr attraktiv aus in dem neuen blaßgelben Ensemble mit den passenden Schuhen und Handschuhen. Johnnie Fitzgerald wartete in der Hotelbar auf sie. Lässig auf einem Hocker hängend, trank er einen Whisky Soda und beäugte mit trägem Blick das Mädchen hinter dem Tresen.
Romy fuhr nach Chelsea, zum Apollo Place, wo Jake wohnte. Sobald Jake ihr die Tür öffnete, erblickte sie die Verwüstung. Das kleine Foyer sah aus wie ein Schlachtfeld: Scherben überall, Tee und Zucker auf dem Boden verstreut, zerfetzte Bücher, beschmierte Wände.
»Camille«, erklärte Jake. »Sie hat mich verlassen. Das ist ihr Abschiedsgeschenk.«
»Tom hat mich auch verlassen«, sagte Romy.
»Tja, das nennt man Duplizität der Ereignisse. Caleb wiederum ist von zu
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