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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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irgendein Unglück hatte, das sich auf Middlemere zugetragen hatte. Wenn sie sich nicht täuschte, war es während des Krieges gewesen; was damals genau geschehen war, wußte sie allerdings nicht mehr.
    Aber jetzt lebten tatsächlich die Heskeths in Middlemere. Evelyn sah Betty Hesketh vor sich – gebleichte Dauerwellen, greller Lippenstift, enge Röcke und Blusen in schrillen Farben. Betty hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, immer ein Blitzen in den schrägen Katzenaugen. Ihre Erscheinung war eine Aufforderung an jeden Mann. Alle im Dorf wußten, was für eine sie war. Als Osborne vor Jahren das erste Mal den Vorschlag gemacht hatte, dem jungen Hesketh in den Ferien Arbeit in Swanton Lacy anzubieten, hätte Evelyn am liebsten nein gesagt, aus lauter Angst, der Junge könnte seiner Mutter nachschlagen und ihr diese aufdringliche Ausdünstung von Sinnlichkeit und Liederlichkeit ins Haus schleppen. Ein völlig absurder Gedanke natürlich, das war ihr sofort klargeworden; sie konnte doch nicht das Kind für die Sünden seiner Mutter bestrafen.
    Osborne und Betty Hesketh … Es war ausgeschlossen, einfach lächerlich. Doch die Frau hatte mit solcher Gewißheit gesprochen, hatte so glaubwürdig gewirkt. Vor vierzehn Jahren, hatte sie gesagt. Evelyn rechnete zurück und kam auf 1942. Im Sommer 1942 hatte sie ihr letztes Kind verloren – Alice, das einzige Mädchen. Der Rest des Jahres war in Schmerz und Depression untergegangen.
    Ich bin ja nicht naiv, dachte Evelyn zornig, als sie aufstand und die restlichen Blumen in die Vasen stopfte. Sie wußte, daß es Männer gab, die sich zu leichten Mädchen hingezogen fühlten, und daß es Männer gab, die fremdgingen. Aber Osborne gehörte nicht zu diesen Männern. Ganz gleich, was er sonst für Fehler hatte, er war ihr, wie Celia betont hatte, immer treu gewesen.
    Draußen fuhr der Wagen vor. Sie hatte das Gefühl, vor Hitze zu kleben. Die Bluse war ihr aus dem Rock gerutscht, und der Rock war vorn voller Wasserspritzer. Sie starrte die Blumen an. Wild durcheinander, mit zerrupften Blüten hingen sie in den Vasen, wie von einer Wahnsinnigen gesteckt. Ich brauche eine Tasse Tee, dachte Evelyn. Oder einen großen Whisky. Oder eine von Dr. Lockharts Zauberpillen.
    Sie ging hinaus, um Osborne zu begrüßen. Das Gefühl stickigen Unbehagens blieb und wurde noch bedrängender, während sich in ihrem Kopf immer wieder von neuem die Szene im Rosengarten abspielte. Sie war in der Küche und ließ Wasser in den Teekessel laufen, als Osborne in scharfem Ton sagte: »Herrgott noch mal, Evelyn. Was ist los mit dir? Der Kessel.« Sie blickte hinunter und sah das Wasser aus dem Schnabel und unter dem Deckel hervorsprudeln.
    Bei seinem Ton riß irgend etwas in ihr – daß ausgerechnet er es wagte, sie zu kritisieren!
    »Wir hatten heute Besuch, Osborne«, sagte sie. »Eine junge Frau namens Romy Cole. Sie wollte zu dir.«
    Als er nichts sagte, drehte sie sich um. Er hatte sich abgewandt, aber nicht schnell genug. Sie sah noch das Erschrecken in seinem Blick.
    »Osborne?« sagte sie, zögernd jetzt.
    Er schien sich gewaltsam zusammenzunehmen. »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor …«
    »Du kennst sie?«
    Er lachte ein wenig. »Kennen wäre zuviel gesagt. Aber die Familie …« Er brach ab.
    »– hat früher in Middlemere gelebt?«
    »Ja.«
    Sie fühlte sich plötzlich unsicher, als hätte sie den Halt verloren und müßte um ihr Gleichgewicht kämpfen. Osborne ging zum Spülstein. Er drehte das kalte Wasser auf und hielt die Hände unter den Strahl. »Diese Hitze«, murmelte er. »Diese verdammte Hitze.«
    Osborne fluchte nie. Evelyn setzte den Kessel auf und sagte: »Warum sind sie weggegangen?«
    »Wer?«
    »Die Coles natürlich«, antwortete sie gereizt.
    Er rieb sich mit den nassen Händen das Gesicht. »Sie mußten gehen.«
    Ihr Mann hat mich und meine Familie auf die Straße gesetzt . »Du hast sie rausgesetzt?«
    »Sie mußten das Haus und den Hof auf Veranlassung des Kriegsausschusses räumen. Cole hat den Hof nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet.«
    »Aber du –«
    »Ja, ja«, unterbrach er unwillig. »Ich saß im Ausschuß. Es hatte alles seine Ordnung, Evelyn, glaub mir. Cole war ein unmöglicher Mensch. Er tat einfach nie das, was ihm gesagt wurde. Wir haben ihm damals wirklich jede Chance gegeben.«
    Beinahe hätte sie sich beruhigen lassen. Romy Coles Vater hatte seinen Hof verloren, ja. Aber durch eigene Schuld. Für die andere schlimme Behauptung gab es

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