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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sicher eine vernünftige Erklärung. Es konnte doch sein, daß Romy Cole, die loyale Tochter, das Versagen ihres Vaters einfach nicht akzeptieren wollte und sich darum einen anderen Grund für die Zwangsräumung zurechtgebastelt hatte.
    Sie löffelte Tee in die Kanne. »Was ist aus der Familie geworden?«
    »Aus der Mutter und den Kindern? Ich weiß es nicht. Sie sind von hier weggezogen. Samuel Cole –« Wieder hielt er inne. Dann sagte er: »Erinnerst du dich denn nicht, Evelyn? Samuel Cole hat sich damals erschossen.«
    Teeblätter fielen auf das Abtropfbrett. »Er hat sich erschossen?«
    »Ja, im Haus. Es war schlimm, aber der Mann war nicht normal. Er war psychisch krank. Schon eine ganze Weile. Mein Gott, er hat es ja selbst bewiesen, als er das Gewehr auf sich richtete. Erinnerst du dich nicht?« Er starrte sie an. »Weißt du das wirklich nicht mehr?«
    Sie schüttelte wortlos den Kopf.
    »Cole weigerte sich zu pflügen, wenn er pflügen sollte, und baute nicht an, was er anbauen sollte. Er widersetzte sich jeder Anordnung. Immer waren die Felder entweder zu morastig oder zu steinig. Stets war er mit einer Entschuldigung bei der Hand. Und er war aggressiv. Hat immer wieder mit mir gestritten. Hat versucht, mich lächerlich zu machen – weißt du nicht mehr, damals in der Kirche … Er hatte sich den Räumungsbefehl selbst zuzuschreiben.«
    Osborne wirkte aufgebracht. Beinahe entrüstet. Der Kessel pfiff schrill, aber sie nahm ihn noch nicht vom Herd. Sie hatte Mühe, sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie jetzt tun mußte, wie man Tee machte. Sie konnte sich das Bild eines Mannes, der ein Gewehr auf sich selbst richtete und abdrückte, nicht aus dem Kopf schlagen.
    Obwohl sie den größten Teil ihres Lebens auf dem Land verbracht hatte, hatte sie sich von der Grausamkeit und der Gewalt, die anscheinend untrennbar zum ländlichen Dasein gehörten, immer abgestoßen gefühlt. Sie war nie zur Hetzjagd geritten, hatte nie an den Fasanenjagden teilgenommen, die vor dem Krieg auf dem Gut abgehalten worden waren. Jetzt holte sie die Erinnerung an das glänzende Gefieder der Vögel und den widerlich süßlichen Geruch des Bluts und des rohen Fleisches wieder ein.
    »Die Familie –« begann sie.
    »Ja, ja, aber es war schließlich Krieg, Evelyn, vergiß das nicht.« Selbstgerecht setzte er hinzu: »Wir mußten alle Opfer bringen.«
    Sie nahm den Kessel und verbrannte sich an seinem heißen Griff. Automatisch goß sie den Tee auf und stellte die Tassen auf den Tisch. Osbornes Gesicht war rot, er schwitzte. Seinem Verhalten fehlte die Selbstsicherheit seiner Worte; es verriet ihn.
    »Cole war ein schwieriger Mensch«, sagte er unvermittelt. »Er hatte kaum Freunde im Dorf. Ich kann mich nicht erinnern, daß man ihm groß nachgeweint hätte.«
    Die Hitze schien sich in dem schlechtbelüfteten Raum mit den hohen Fenstern zu stauen. Evelyn spürte das Schweißbächlein zwischen ihren Brüsten. Sie umschloß ihre Tasse mit beiden Händen. Der Tee schmeckte sauer; vielleicht war die Milch nicht mehr gut. Wir sollten uns einen Kühlschrank kaufen, dachte sie. Inzwischen hatte praktisch jeder einen Kühlschrank, selbst Celia in ihrem kleinen Haus in Bayswater.
    Osborne fragte plötzlich: »Was wollte sie?«
    Sie merkte, daß er das Thema nicht lassen konnte; daß er es für nötig hielt, sich zu verteidigen und zu rechtfertigen. Mit dem Zeigefinger trommelte er in schnellem Tempo auf die Tischplatte. Ihr Mann hat ja nur mich und meine Familie auf die Straße gesetzt, damit er unser Haus seiner Geliebten geben konnte .
    Sie sagte: »Warum hast du Middlemere den Heskeths gegeben, Osborne?«
    »Sie waren Mieter von mir … Das Haus, in dem sie lebten, war sehr heruntergekommen …«
    »Betty Hesketh war nicht lange zuvor Witwe geworden, nicht wahr?«
    »Ja, ich glaube … ich kann mich nicht erinnern.« Er lachte kurz. »Also, wirklich, Evelyn, du kannst doch nicht erwarten, daß ich sämtliche Einzelheiten des Lebens meiner Mieter und Pächter im Kopf habe.«
    Sie stellte ihre Tasse nieder und starrte in ihren Tee, auf dem sich eine Haut gebildet hatte. »Ich dachte nur«, murmelte sie, »daß dir Betty Hesketh vielleicht besonders gut im Gedächtnis geblieben ist.«
    »Was soll das heißen?« fragte er scharf.
    »Sie ist doch eine ziemlich auffallende Frau.«
    »Findest du?«
    »Sie scheint vor allem Männern aufzufallen.«
    »Ach ja?« Mit einem Blick auf seine Uhr stand er auf. »Du mußt mich entschuldigen –«
    »Du

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