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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Augen. Von einem plötzlichen, furchtbaren Verdacht gepackt, hielt sie inne. Dann streckte sie haltsuchend die Arme aus und fand keinen. Die kleine Figur entglitt ihren Fingern, das Schäferpärchen zersprang auf dem Fußboden. Kurz nachdem sie ihr erstes Kind verloren hatte, hatte Osborne ein Verhältnis mit Betty Hesketh angefangen. Und dann hatte Betty ihren Sohn Caleb zur Welt gebracht. Wann genau war Caleb Hesketh geboren? Sie versuchte zurückzudenken, aber sie sah nur den großen, dunklen Jungen und seine kleine, blonde Mutter vor sich. Sie konnte sich nicht erinnern, wie Archie Hesketh ausgesehen hatte.
    Sie preßte die Hände auf den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Die Vergangenheit zersplitterte, als blickte sie in ein Kaleidoskop, und formte sich zu neuen schrecklichen Bildern. Sei nicht albern, sagte sie sich heftig. Du hast wirklich eine blühende Phantasie.
    Sie mußte sich irren. Es konnte nicht wahr sein, daß Osborne Middlemere an Betty Hesketh gegeben hatte, um dafür zu sorgen, daß sein einziger Sohn in einem ordentlichen Zuhause aufwuchs.
    Das Glück hatte Mirabel Plummer verlassen. Eines Abends brach sie in der Bar des Trelawney-Hotels zusammen. Man holte ihren Arzt, und sie wurde in eine Klinik gebracht. Einige Tage danach kehrte sie ins Hotel zurück, bezog wieder ihre private Zimmerflucht, aber sie wußte, daß das Spiel aus war, daß das Ende bevorstand.
    Sie begegnete dem Tod so pragmatisch wie sie dem Leben begegnet war. Sie brachte ihre Angelegenheiten in Ordnung, bezahlte ihre Schulden, beglich einige alte Rechnungen und versuchte, Schmerz und Erniedrigung soweit wie möglich zu vermeiden. Eine Sache jedoch machte ihr zu schaffen; eine Sache ließ sie nicht ruhen und hinderte sie des Nachts daran, sich darauf zu konzentrieren, den Schmerz, der jetzt ihr ständiger Begleiter war, in Schach zu halten.
    Sie hatte immer vorgehabt, das Trelawney Johnnie zu hinterlassen. Vor Jahren hatte sie ihm im Rausch ihrer jungen Liebe versprochen, daß er eines Tages das Hotel erben würde. Damals hatte sie sich unsterblich gefühlt, der Tod war in weiter Ferne gewesen. Johnnie war geschmeichelt und dankbar gewesen. Sie hatte gemerkt, daß der Gedanke ihn erregte. Und wem sollte sie das Trelawney hinterlassen, wenn nicht dem einzigen Mann, den sie je geliebt hatte?
    Sie hatte geglaubt, Johnnie würde nun anfangen, sich für das Hotel zu interessieren, und in nicht allzu ferner Zukunft Jack Starlings Position als Geschäftsführer übernehmen. Aber dazu war es nie gekommen. Seine eigenen Geschäfte nähmen ihn zu sehr in Anspruch, erklärte er ihr; er habe schon genug um die Ohren. Später, hatte er immer wieder gesagt – besänftigend zuerst und dann, als zwischen ihnen nicht mehr alles eitel Sonnenschein war, gereizt. Später, wenn er mehr Zeit habe.
    Aber nun war keine Zeit mehr. Nun mußte sie, wenn sie nachts wach lag, der Tatsache ins Auge sehen, daß Johnnie das Hotel verkaufen würde, wenn er es erben sollte. Für ihn war das Trelawney nie mehr gewesen als eine Geldquelle, die ihm dazu dienen konnte, seine Rennautos, seine Alkoholexzesse und seine Mätressen zu finanzieren. Er hing nicht an dem Hotel, wie sie an ihm hing. Er hatte es nicht aus unsicheren Anfängen zu einem erfolgreichen Geschäftsunternehmen hochgepäppelt, er kannte nicht das prickelnde Gefühl des Besitzerstolzes, das sie jedesmal verspürte, wenn sie durch das elegante säulengeschmückte Portal ihr Hotel betrat.
    Sie hatte Johnnie seit dem Streit nicht wiedergesehen. Sie hätte nicht gewollt, daß er sie in ihrem jetzigen Zustand sähe, mit eingefallenem Gesicht und gelber Haut, schwach und verletzlich. Mit der Zeit fehlte er ihr immer weniger. Es war, als hätte sie keine Kraft mehr für die Liebe. Der eine Schmerz wurde vom anderen abgelöst. Sie brauchte die Leidenschaft nicht mehr, sie brauchte nicht mehr die Extreme der Lust und der Eifersucht, die sie durch Johnnie Fitzgerald erfahren hatte. Sie brauchte etwas, das ihr durch diese letzte schwere Spanne ihres Lebens half. Sie brauchte jemanden, der ihr an den Tagen, da sie nicht zu müde war, Gesellschaft leistete und die Dunkelheit fernhielt. Sie brauchte jemanden, der sie mit Güte, Trost und Ablenkung aus den finsteren Depressionen befreite, die sie immer wieder überfielen.
    Es gab immer weniger Menschen, die sie sehen wollte. Viele, die sie für Freunde gehalten hatte, hatten sich nicht mehr blicken lassen, seit ihre Krankheit bekannt geworden war. Sie vermutete,

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