Das Erbe des Vaters
und lange Strandspaziergänge machen, oder –« er zog leicht spöttisch die Augenbrauen hoch – »du kannst in London bleiben und von früh bis abend nach Herzenslust schuften.«
Romy lachte. »Wenn du es so formulierst –«
»Du kommst mit?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht, Patrick. Ich würde liebend gern mitkommen, aber ich kann nicht.«
Er seufzte. »Dann mußt du aber sehr lieb zu mir sein, denn ich werde dich schrecklich vermissen.«
Er nahm sie in die Arme und begann, sie zu küssen. Es war der Abend vor Weihnachten; sie waren auf einem Fest gewesen und hinterher in Romys Appartement im Trelawney gegangen, um noch ein Glas miteinander zu trinken. Entspannt und unbeschwert nach mehreren Gläsern Champagner, schloß sie die Augen und überließ sich der Liebkosung seines Mundes und der Berührung seiner Hände. Es wäre so leicht, dachte sie träumerisch, so leicht – und so angenehm –, mit Patrick Napier ins Bett zu gehen.
Aus dem Nebenzimmer erschallte plötzlich ein Schrei. Sie fuhr hoch. »Danny«, sagte sie.
»Aber das Kindermädchen kann doch –«, begann Patrick verärgert.
Danny stand mit tränennassem Gesicht in seinem Bett. Er hatte geträumt, unter seinem Kopfkissen hätte sich eine Schlange versteckt. Romy hob das Kissen hoch, um ihm zu zeigen, daß da keine Schlange war, dann wiegte sie ihn in ihren Armen, bis er wieder eingeschlafen war, und packte ihn zurück ins Bett.
Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, sagte Patrick: »Man könnte fast glauben, du machst das absichtlich. Dieses Kind wacht doch jedesmal im dümmsten Moment auf.« Er ging zu ihr und nahm sie in die Arme. »Komm, wir fangen einfach noch einmal von vorn an.«
»Nein, Patrick.« Sie trat von ihm weg und sah auf die Uhr auf dem Kaminsims. »Es ist nach Mitternacht, und ich muß morgen um sechs raus. Zu Weihnachten –«
»Ich weiß, ich weiß. Weihnachten ist bei euch immer die Hölle los.«
»Es tut mir leid.«
»Sicher nicht so leid wie mir.« Er griff nach seinem Mantel. »Wenn du weiter nein sagst, muß ich dich eben einfach heiraten, Romy Cole.«
Sie lachte. »Sag so was lieber nicht, Patrick. Jeder weiß, daß du ein eingefleischter Junggeselle bist.«
Er küßte sie leicht auf die Lippen. »Versprich mir, daß du im neuen Jahr wenigstens mal übers Wochenende mit mir rausfährst.«
»Patrick –«
»Das bist du mir schuldig, meinst du nicht?«
Seine Stimme und sein Blick schmeichelten.
»Na gut«, sagte sie. »Im Januar. Wir nehmen uns ein Wochenende im Januar.«
»Gut.« Er ging zur Tür. »Fröhliche Weihnachten, Romy«, sagte er, bevor er hinausging.
15
R OMY HÄTTE SICH WEISSE W EIHNACHTEN für Danny gewünscht, dicke, sachte fallende Flocken und einen Schneemann im Garten, aber der erste Feiertag zog mild und windig herauf mit einem tiefhängenden grauen Himmel, der wie eine Glocke über der Stadt lag.
Am Nachmittag machten sie einen Spaziergang. Der Wind bewegte das ölige Wasser der Themse und fegte Zeitungen und Bonbonpapiere durch die Rinnsteine. Romy wünschte, sie könnte London einmal kurz und heftig ausschütteln, um ihm die weiße Reinheit der Weihnachtsfeste in Filmen und Büchern wiederzugeben.
Nach dem zweiten Feiertag reiste Jem nach Yorkshire zurück. Tags darauf fand Romy Carol weinend im Büro. Schluchzend stieß Carol hervor: »Es ist wegen Tony. Ich hab ihn mit Sandra in der Besenkammer erwischt.« Tony war einer der Köche und seit drei Monaten Carols fester Freund, Sandra war eine Bedienung. Carol putzte sich die Nase an ihrem Ärmel. »Ich hab gedacht, er liebt mich.«
Carol kehrte früher als geplant nach Stratton zurück, um dem treulosen Tony zu entfliehen, und sie waren mitten im größten Feiertagstrubel knapp an Personal. Es gab die üblichen Probleme – Gäste, die irgend etwas verloren hatten oder sich nach allzuviel Truthahn und Plumpudding unwohl fühlten –, und es gab das andere Problem, mit dem das Hotel um diese Zeit des Jahres häufig zu kämpfen hatte: ausgelassene junge Männer, die aus lauter Lust am Feiern zuviel tranken und den Schlag Frauen ins Hotel brachten, den Romy unter ihrem Dach nicht haben wollte. Dann bekamen auch noch sämtliche Mitglieder der Band, die sie für Silvester gebucht hatten, die Grippe, so daß sie zu einer Zeit, in der alle halbwegs tauglichen Kapellen seit Monaten ausgebucht waren, innerhalb von zwei Tagen Ersatz beschaffen mußte. Wenn das so weitergehe, sagte sie mit Galgenhumor zu Anton, dem Koch,
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