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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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würden sie beide selbst auf die Bühne steigen und auf Spielzeugtrompeten einen Trauermarsch blasen müssen.
    Im Trelawney fand jedes Jahr ein großes Silvesterfest mit Essen und Tanz statt. Es war eine Tradition, die Mrs. Plummer mit Liebe gepflegt hatte. Romy hatte sie lebhaft in Erinnerung, wie sie, ganz in Blaßgelb oder Smaragdgrün, mit Johnnie Fitzgerald den Foxtrott getanzt hatte.
    Doch an diesem Silvesterabend wollte keine Stimmung aufkommen. Mit so etwas mußte man bei Festen immer rechnen, das wußte sie mittlerweile aus Erfahrung – man konnte planen, soviel man wollte, man konnte nie sicher sein, daß der Funke überspringen würde. Die Band, nicht mehr ganz taufrisch, ackerte sich verbissen durch ein Repertoire an abgedroschenen Oldies. Auch das Essen schien nicht mehr ganz taufrisch. Sie würde ein Wörtchen mit Anton reden müssen, dachte sie verärgert, als sie in ein Vol-au-vent biß. Kein Mensch wollte zu Silvester schon wieder Truthahn aufgetischt bekommen. Selbst den Gästen schien es an Lebendigkeit zu fehlen; anstatt zu tanzen, saßen sie träge herum und gähnten diskret hinter vorgehaltener Hand.
    Schließlich wurde zur Übertragung des Glockengeläuts das Radio eingeschaltet. Auf einen eher halbherzigen Hochruf auf das neue Jahr folgten eine gedämpfte Strophe von »Auld Lang Syne« und die üblichen Pflichtküsse. Romy wünschte nur, es wäre endlich vorbei und sie könnte sich in die Stille ihres Appartements zurückziehen.
    Aber als sie dann endlich nach oben gehen konnte, war sie hellwach und aufgewühlt. Ich müßte doch todmüde sein, sagte sie sich. Sie war seit achtzehn Stunden auf den Beinen. Sie schlüpfte aus ihrem teuren Kleid, hängte es auf einen Bügel und zog ihren Morgenrock über. Dann schenkte sie sich etwas zu trinken ein und setzte sich in einen Sessel. Es war nichts zu hören außer dem Ticken der Uhr und, in der Ferne, dem Lärmen feiernder Menschen, die durch die Straßen zogen. Danny und Sarah schliefen. Niemand hatte auf sie gewartet, um mit ihr die Hoffnungen und Befürchtungen für das kommende Jahr zu teilen. Das Appartement, voll von Mrs. Plummers Möbeln, Mrs. Plummers Büchern und Bibelots, die sie bis heute nicht durch eigene ersetzt hatte, erschien ihr leer und unpersönlich.
    Es war Silvester, sie war vierundzwanzig Jahre alt und allein mit der nicht gerade erheiternden Erinnerung an ein Fest, das ihr nicht gefallen hatte. Am liebsten hätte sie sich einen zweiten Drink eingegossen und dann gleich noch einen, um das Gefühl des Scheiterns und der Isolation zu ersticken. Doch statt dessen griff sie zum Telefon und verlangte den Portier, der ein wahres Genie darin war, einem fast alles zu besorgen – mit etwas Glück sogar ein Taxi in der Silvesternacht.
    Sie zog ein schwarzes Trikot an und eine schwarze Strumpfhose, dazu ihren rundgeschnittenen Kräuselrock von Bazaar und ein kurzes Mohairjäckchen. So sprang sie in den Wagen und ließ sich zum Apollo Place fahren.
    Bei Jake stieg jedes Silvester eine große Party. Seine Feste fingen normalerweise erst gegen drei Uhr morgens an und dauerten dann bis weit in den Tag hinein. Sämtliche Fenster seines Hauses waren hell erleuchtet, als das Taxi auf den Platz einbog. Während Romy den Fahrer bezahlte, kam torkelnd ein Mann aus der Haustür und stürzte der Länge nach auf den Gehweg. Romy stieg vorsichtig über ihn hinweg.
    Der Flur war voller Leute. Sie schnappte Gesprächsfetzen auf, als sie sich unter Zuhilfenahme ihrer Ellbogen und ein ums andere Mal »Entschuldigung« murmelnd durch den Korridor drängte. Eine Frau in einem weiten Parallelo und Jeans sagte: »Er hat es in Blau und Grün gemalt – das soll an den Mutterleib erinnern«, und ein Schwarzer aus Westindien versetzte verwirrt: »Ich hätte gedacht, im Mutterleib wäre alles rot.« Worauf die Frau ernsthaft erwiderte: »Der Mutterleib als nährender Ozean, Darling.« Dann bat ein Mann mit Schirmmütze Romy um Feuer, und ein anderer – Pulli mit Löchern und Kordhose voll Farbkleckse –, dessen Pupillen so stark vergrößert waren, daß von der Iris beinahe nichts mehr zu sehen war, packte sie bei der Hand und versuchte völlig benebelt, aber dafür um so leidenschaftlicher, sie davon zu überzeugen, daß sie einmal ein Wochenende miteinander verbracht hatten. »Du mußt dich doch erinnern«, schrie er. »In Wales war’s. In Aberdings oder so.«
    Auf der Treppe hockte eine ganze Gruppe Leute zusammen, die eine schlampig gedrehte Zigarette

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