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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Augen, machte Licht und ging in die Küche. Dort riß sie ein Streichholz an, zündete das Gas an und setzte den Kessel auf. Sie wußte natürlich, wo die kleine, dunkle Kammer war. Sie wußte, daß sie in ihren Träumen immer wieder zu dem grünen Schrank in Middlemere zurückkehrte, dem Schrank im oberen Flur, in dem sie sich am Tag der Zwangsräumung versteckt hatte. Als sie an sich hinunterblickte, war sie überrascht zu sehen, daß sie ihr seidenes Negligé anhatte. Als hätte sie erwartet, ihre Schulkleider zu sehen, den handgestrickten Pullover und den Faltenrock, die sie jeden Tag in der bescheidenen kleinen Schule in Swanton St. Michael getragen hatte.
    Und doch konnte sie sich so vieler Dinge nicht mehr entsinnen. Sie hatte kaum eine Erinnerung an die Monate, die der Räumung vorausgegangen waren. Obwohl sie das Gefühl der Verwirrung und Heimatlosigkeit, das sie in den unsteten Jahren zwischen dem Auszug aus Middlemere und dem neuen Leben in Stratton begleitet hatte, noch lebhaft erinnerte, wußte sie nichts mehr von dem, was unmittelbar auf den Selbstmord ihres Vaters gefolgt war. Sie war nur acht Jahre alt gewesen. Es war lange her. Vielleicht hatte ihr die Zeit einen Gefallen getan, indem sie die schlimmsten Erinnerungen gelöscht hatte.
    Aber der Traum suchte sie immer noch heim. In ihm gab es Erinnerungen, zum Greifen nahe. Dort war die Gewißheit, daß jenseits, knapp außerhalb ihres Gesichtsfelds, etwas Schreckliches geschah. Hätte sie ihr Auge an den Schlitz gedrückt, so hätte sie alles gewußt.
    Die namenlose Furcht wirkte den ganzen Tag nach. Sie war da, als sie ins halbleere Restaurant blickte oder sah, in welchem Maß die Vorbestellungen abgenommen hatten. Sie war da, als sie Mr. Nelsons Bericht las und erkannte, daß sie alle Zimmer in der ersten und zweiten Etage würde schließen müssen, während die Behandlung gegen den Fäulebefall durchgeführt wurde.
    Sie war da, als ihr eines Morgens beim Erwachen die Lösung kam. Zuerst fegte sie sie weg, wollte sie nicht einmal in Betracht ziehen. Das werde ich nicht tun, schwor sie sich. Ich werde nicht vor Johnnie Fitzgerald zu Kreuze kriechen.
    Jake erzählte ihr, daß Fitzgerald jetzt eine Autohandlung in der Warren Street betrieb und an einem Nachtlokal im West End beteiligt war. Dann sah er sie argwöhnisch an. »Was hast du vor? Willst du seine Spelunke in Brand stecken? Oder die Fenster vom Ausstellungsraum einschlagen?«
    »Ganz sicher nicht«, antwortete Romy. »Es hat mich nur interessiert.«
    Jake machte ein ungläubiges Gesicht. »Ich sag’s dir lieber gleich: Egal, was du tust, ich werde nicht hiersein, um dir aus der Patsche zu helfen. Ich gehe weg aus London, Romy.«
    »Zum Malen?« fragte sie. »Oder fährst du in Urlaub?«
    »Für immer. Ich übersiedle nach Mallorca.« Er hievte sich aus seinem Sessel und schenkte ihr Wein nach. »Noch einen Winter hier halte ich nicht aus.« Er fröstelte und versetzte dem elektrischen Ofen einen Fußtritt. »Hier ist mir dauernd kalt. Und Spaß macht es hier auch nicht mehr. So viele aus der alten Clique sind weg. Außerdem macht mein Arzt dauernd Theater wegen meines Herzens. Sagt mir, ich muß aufhören zu trinken und zu rauchen.« Jake prustete voll Verachtung. »Absolut lächerlich. Lieber bin ich tot.«
    Sie war bestürzt. »Du kannst nicht fortgehen, Jake. Was soll ich denn ohne dich machen?«
    Er zündete sich eine neue Zigarette an und sagte mit einer wegwerfenden Geste: »Ach, du hast jetzt so viele schicke Freunde, Romy. Du wirst kaum merken, daß ich weg bin.«
    »Jake! Du kannst nicht gehen!«
    »Hör auf zu heulen.« Er gab ihr ein Taschentuch, und sie schneuzte sich geräuschvoll. »Du weißt doch, daß ich flennende Weiber nicht ausstehen kann.«
    Er tätschelte ihr den Rücken. »Du kannst mich jederzeit auf Mallorca besuchen. Du schaust aus, als würde dir ein Urlaub guttun.«
    »Aber das Hotel –«
    »Ach, vergiß doch das blöde Hotel!«
    »Das kann ich nicht. Es ist sowieso schon alles schwierig genug. Wenn ich nicht da wäre und auf alles achten würde –«
    »Wär’s denn wirklich so schlimm, wenn die elende kleine Klitsche in die Binsen geht?« Jake warf gereizt die Hände hoch. »Wäre es wirklich so furchtbar schlimm, wenn es in London ein Hotel weniger gäbe, Romy? Keinen Menschen würde es auch nur einen Pfifferling scheren.«
    »Doch, mich. Es ist mein Zuhause –«
    »Leb endlich, Romy! Amüsier dich. Das Alter wird dich schnell genug einholen. Oder

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