Das Erbe des Vaters
Nervenzusammenbruch und konnte nicht mehr arbeiten –, aber er scheint trotzdem profitiert zu haben. Anita sagte – ich habe ihre Worte noch genau im Kopf –, Daubeny sei sehr großzügig zu ihnen gewesen. Danach fragte ich mich, ob es zwischen Ihrem Vater und Daubeny vielleicht Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte. Ob Daubeny Ihre Familie vielleicht deshalb rausgesetzt hatte. Aber es lag natürlich an etwas ganz anderem, nicht wahr? Es war wegen meiner Mutter.«
Drüben auf der anderen Straßenseite ging einer der Männer davon. Der andere schimpfte ihm hinterher, bevor er sich gegen die Wand fallen ließ und der Frau sein Zigarettenetui hinhielt.
»Annie und ich«, sagte sie, »haben in der Schule ständig gestritten. Sie war ganz anders als ich. Sie hatte immer rosa Kleidchen an und Schleifen im Haar. Einmal wurde sie zur Maikönigin gewählt. Wenn man Maikönigin werden wollte, mußte man blonde Haare haben. Sie hat sich immer für was Besseres gehalten. Jedenfalls dachte ich das damals. Heute bin ich da nicht mehr so sicher. Wahrscheinlich konnten wir uns einfach nicht leiden. Aber ich erinnere mich genau, wie Mr. Paynter mal auf meinen Vater losgegangen ist. Er kam zu uns nach Hause. Ich hatte irgendeine Dummheit gemacht – ich weiß nicht mehr –«
»Sie hatten Anita in eine Pferdetränke geschubst.«
»Das hat sie Ihnen erzählt? Du lieber Gott.« Einen Moment war sie verlegen, dann siegte die Neugier. »Und wie ist Annie jetzt so?«
»Rosa Kleidchen und Schleifen im Haar.« Er lachte. »Zum Gähnen langweilig.«
Irgendwie war es eine Genugtuung, Anita Paynter, Star der Dorfschule, so abgetan zu hören. Sie sah Caleb an. »Aber hübsch, oder?«
»Schon möglich. Nicht mein Typ.«
Es hätte sie interessiert, wie Caleb Heskeths Typ aussah. Aber sie fragte nicht, sondern sagte: »Erzählen Sie mir von Daubeny. Was ist er für ein Mensch?«
»Selbstgerecht und von sich überzeugt. Sie kennen diese Sorte bestimmt. Erwartet Unterwürfigkeit.«
Das Paar auf der anderen Straßenseite stand jetzt in enger Umarmung. Seine Hand strich über ihren Körper und grub sich in ihr flammendes Haar. Sein Mund suchte ihr Gesicht, ihren Hals und ihre bloße weiße Schulter.
»Ja, wir haben öfter solche Gäste im Hotel«, sagte Romy. »Ich habe dort als Zimmermädchen angefangen. Es war unglaublich, was manche von diesen Leuten erwarteten. Wie sie ihre Zimmer hinterlassen haben – was die alles rumliegen ließen, die intimsten Sachen –, und wir sollten die dann aufräumen. Als würde uns das nichts ausmachen. Als wären wir gar keine Menschen – oder so unbedeutend, als würden wir nicht zählen.«
»Immer wenn ich Daubeny begegne, würde ich am liebsten irgendwas tun, um ihn zu schockieren. Fluchen wie ein Stallknecht oder in der Nase bohren.«
»Aber Sie tun es nicht?«
»O Gott, nein, das geht doch nicht, daß die niederen Stände über die Stränge schlagen? Außerdem gehört ihm das Haus meiner Mutter. Da ist es besser, ihn nicht zu verärgern.«
Sie fröstelte. Er warf ihr einen Blick zu. »Ist Ihnen kalt? Sollen wir wieder reingehen?«
Sie schüttelte den Kopf. Drüben winkte die Rothaarige einem Taxi und stieg ein. Ihr Liebhaber kam mit einer Zigarette in der Hand leicht torkelnd über die Straße. Als er den Eingang zum Pub erreichte, stolperte er und wäre beinahe gegen Romy geprallt.
Sie sagte kühl: »Guten Abend, Mr. Fitzgerald«, und Johnnie drängte sich brummend an ihr vorbei ins Pub.
»Ein Freund von Ihnen?« fragte Caleb.
»Der Freund meiner Chefin.« Sie erinnerte sich des Feuers in Johnnie Fitzgeralds Blick, als er die Rothaarige geküßt hatte, und wie er sie an sich gepreßt hatte, als wollte er sie mit Haut und Haar verschlingen.
Zwei Dinge wußte sie jetzt. Sie wußte, daß Osborne Daubeny Mark Paynter dafür entlohnt hatte, daß er ihre Familie aus Middlemere vertrieben hatte. Und sie wußte – was ebenso überraschend war –, daß Caleb Hesketh gar nicht so übel war. Im Gegenteil, er war eigentlich sehr nett.
Es war Evelyns erster Besuch in dem Haus, in dem Celia jetzt mit Gerald zusammenlebte. Das Haus stand in Bayswater, in einer kleinen Straße, die eine Spur heruntergekommen wirkte. An den Fenstern blätterte der Lack, und vor manchen Türen standen, obwohl es Mittag war, noch die Milchflaschen.
Celia küßte Evelyn auf beide Wangen und führte sie in die Diele. »Ich freue mich so, daß du da bist. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Und ich habe dir so
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