Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
Bruder des Ordens, eine sehr gute militärische Ausbildung genossen und kannte wenig Furcht, doch dieser Aufgabe fühlte er sich nicht gewachsen. Wäre es um weniger als den Fortbestand des Ordens gegangen, hätte er diese Aufgabe abgelehnt. Doch alles, für was er einstand, stand auf dem Spiel, sollte tatsächlich Meigol bald der neue Hohepriester des Ordens sein. Er zweifelte nicht an den Worten Garauns. So war er überzeugt, das Richtige zu tun, als er wie befohlen einige Getreue, auf die er sich uneingeschränkt verlassen konnte, auswählte, damit diese ihn auf seiner Reise ins Ungewisse begleiteten.
Nachdem Mefladun gegangen war, brach die Nacht herein. Garaun hatte sich entschieden, den Rat der Untoten einzuberufen. Er wollte, wie schon oft, deren Zustimmung zu seinen Plänen erfahren.
Direkt von seinen Gemächern aus konnte er den Gang betreten, welcher in den großen ummauerten Hof führte, wo die Denkmäler der Hohepriester standen. Jeder von ihnen, der sich entschloss, nach seinem Ableben als Untoter weiter in den Katakomben und vormals auf Ulkaldor in den Gewölben des großen Turmes sein Dasein zu fristen, erhielt ein Denkmal, das an ihn erinnerte. Nur der amtierende Hohepriester und die Richter hatten diese je erblickt. Alle anderen, auch die Steinmetze, die das letzte Standbild aus einem schwarzen Block geschlagen hatten, den man in den Nördlichen Bergen gefunden hatte, waren schon gestorben. Die ersten elf Standbilder hatte der Orden aus Ulkaldor selbst mit hergebracht, ebenso wie das große steinerne Wandbild, das Nerol und zwei Frauen zu seinen Seiten zeigte.
Der Vorgänger Garauns war der Erste in der Neuen Welt gewesen, dem ein Standbild zuteilwurde. Denn auch er wählte den Weg der Toten und würde heute am Rat teilnehmen. Sollte der Orden einst die Fesseln Sharandirs und der dunklen Sithar abwerfen, dann wollte Garaun einen würdigeren Ort suchen und dort ein neues Heiligtum für die Verblichenen erbauen lassen. Dann könnte endlich auch eine neue Zeit der Allmacht für die Nerolianer anbrechen, die große und den Toten würdige Bauwerke erforderte. Bisher hatte er sich darin zurückgehalten, solche errichten zu lassen. Der Tempel des Ordens war zwar das größte Gebäude der Nerolianer hier in der Neuen Welt, aber er war schmucklos und nichts war ihm in der Amtszeit Garauns hinzugefügt oder verbessert worden. Er ließ ihn so, um nicht Sharandir herauszufordern. Er wollte ihn nicht gegen sich aufbringen, indem er dessen Eitelkeit verletzte. Die Handwerker der Nerolianer waren jedoch durchaus zu Größerem fähig, aber alles zu seiner Zeit. Garaun ging nun durch das Tor in die Katakomben hinein. Sofort umfing ihn der Geruch, der dort über allem lag: fauliger Moder und verwesendes Fleisch. Doch er machte ihm nichts aus, im Gegenteil, irgendwie schien er ihn sogar fast zu mögen. Das konnte auch daran liegen, dass er dereinst selbst hier die Zeiten überdauern würde, bis einem Hohepriester es irgendwann einmal gelang, den Toten ihr altes Antlitz zurückzugeben, damit sie wieder unter die Lebenden gehen konnten. So war es einst geweissagt worden.
Die Meerburg
Meerburg, 29. Tag des 3. Monats 2515
Schon von Weitem war die große Stadt am Ende der Ghal-Usdun, der Bucht von Usdun, zu erkennen. Turgos hatte noch nie zuvor eine solch gewaltige Stadt erblickt. Die Burg, nach der die Stadt benannt war, ragte hoch über die Häuser auf. Diese Wehranlage war gewaltig im Vergleich zur Zitadelle von Hochstadt. Alles Land schien direkt auf die Stadt zuzulaufen. Schon seit einem Tag waren viele Menschen in beiden Richtungen auf dem Weg unterwegs, den sie beschritten. Die Meerburg, wie die Stadt der Thaine von Lindan genannt wurde, war viel größer als Schwarzenberg, Turgos kam sich deshalb klein und schwach vor. Gegen diese Stadt sollte er zu Felde ziehen?, kamen ihm Whendas Worte in den Sinn. Unvorstellbar erschien ihm allein dieser Gedanke zu sein. Sein ganzes Heer wäre gerade einmal in der Lage, sie einzuschließen, doch dann wäre niemand mehr übrig, mit dem er einen Belagerungsangriff durchführen konnte.
Dort, wo sich seine Gedanken jenen Whendas angenähert hatten, kam es nun wieder zum Bruch. Turgos wollte es sich nicht einmal mehr vorstellen, einen Angriff gegen das Thainat im Norden Schwarzenbergs zu führen. Wie sollte er all die Menschen hier in Schach halten können, wenn sie einfach nur ihres Weges gingen? Es war einfach nicht möglich. Diese Erkenntnis machte ihn weder
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