Das Erbe Ilvaleriens (Die Chroniken von Vanafelgar) (German Edition)
mit dem Verweis auf das Unglaubliche in Whendas Geschichten alles abblocken oder einfach nicht darauf eingehen können. Doch da er es war, der einen Beweis von ihr gefordert hatte, war es nun auch an ihm, etwas dafür zu geben.
»Findest du nicht, dass es etwas viel verlangt ist, edle Whenda? Eine kleine Reise gegen ein Königreich und einen Krieg mit Tausenden Toten, und das nur, weil du mir beweisen kannst, dass hier im Westen einst ein großes geeintes Reich lag, dessen Herren schon lange aus der Welt sind?«
Whenda wusste, dass sie gewonnen hatte. Der Hohn in der Stimme des Barons war nur gespielt, dessen war sie sich sicher. »Wenn du denkst, dass eine Reise mit mir dies alles nicht ausgleicht, dann kannst du ja noch deine Baronie darauflegen. Das müsste dann ungefähr hinkommen.« Turgos gefiel es, dass Whenda auf sein Spiel einging, und er begann zu lachen. Whenda fiel mit ein. Wie lange hatte sie nicht mehr so herzhaft gelacht! Wenn sie in späteren Tagen an jenen Moment zurückdachte, da wusste sie, dass es nicht nur daran lag, dass sie endlich einen Mitstreiter gewonnen hatte. Die Wachen der Anyanar und die des Barons, die sich im Gang vor dem Gemach aufhielten, warfen sich vielsagende Blicke zu. Ihre Anführer waren anscheinend sehr ausgelassen. Dabei hatten die Leute Whendas sie niemals auch nur lächeln gesehen. Und jene von Turgos wussten auch nicht, was auf einmal in den Baron gefahren sein mochte.
» Wir reisen am besten als Händler verkleidet«, schlug Whenda dem Baron vor, als sie sich wieder gefangen hatten. »Und wir nehmen auch jeder nur zwei Soldaten mit uns, so schöpft niemand einen Verdacht.« Whenda sah Turgos an und wartete auf eine Reaktion von ihm.
Doch er sagte forsch: »Nein, hohe Frau, wir gehen alleine, getarnt als Mann und Frau, und nehmen uns zur Begleitung nur ein altes Packpferd mit auf den Weg. Denn wenn unsere Kleidung und Erscheinung schäbig genug sind, dürfte das jeden Wegelagerer davon abhalten, sich Mühe mit uns zu machen.
Whenda war erstaunt, dass der Baron sich solche Gedanken machte, und glaubte gar, dass er diese schon vor ihrem Gespräch gehegt hatte. Doch dies war nun einerlei. »Wir sollten unsere Reise geheim halten, Baron«, meinte sie nur. Sicher hatten ihre Feinde schon den ein oder anderen Späher in Schwarzenberg. Turgos war zwar anderer Meinung, doch konnte er schließlich nicht wissen, welche Gesinnung die Händler hatten, die tagein, tagaus nach Schwarzenberg kamen. So beschlossen sie, dass sie niemanden in ihr Unternehmen einweihen würden. Wer nichts wusste, konnte auch nichts verraten.
N acht über Maladan
Tharvanäa, 27. Tag des 12. Monats 2514
In Maladan wurde es für gewöhnlich im Winter nicht sehr kalt. Selten fiel überhaupt Schnee in Tharvanäa. Doch in diesem Jahr war es anders. Aus dem weißen Gebirge fegten Winde heran, die so kalt waren, dass sogar das Wasser in den Tränken der Tiere und den Brunnen der Stadt zu gefrieren begann. Bisher war das nur des Nachts geschehen. Doch nun waren auch die Tage von Wolken verhangen und nur selten kam noch das Licht der Sonne hindurch. Ein weißer Schleier lag über dem Land und gab dem Kristallpalast der Herrscher von Maladan einen noch erhabeneren Anblick als an Sommerabenden, wenn die Sonne sich langsam im Westen von der Welt abwandte. Wie der Palast dann Rot zu glühen schien, strahlte er jetzt eine Kälte und Glätte aus, die ihn in einem prächtigen Hellblau aufblitzen ließ, wenn denn die Sonne einmal zwischen den Wolken hervorkam. Nachts, wenn der Himmel nicht von Wolken verhangen war und der Mond seine ganze Kraft entfaltete, sah er aus wie ein Palast aus Eis. Viele, die ihn erblickten, weckten voll Ehrfurcht ihre Lieben aus dem Schlaf, damit auch diese ihn ansehen konnten.
Doch nicht immer war nur die Ehrfurcht der erste Gedanke der Betrachter. Viele glaubten , bei seinem Anblick zu wissen, dass nun auch der Winter für das Volk von Maladan anbrechen würde, vielleicht gar für alles Leben der Völker in Vanafelgar. Hätte jemand dort hingesehen, wo weit in den Höhen des Palastes die Privatgemächer der Königin waren, dann hätte er vielleicht auch das kleine Lichtpünktchen erkannt, welches dort leuchtete.
Valralka, die Königin Maladans, stand dort nämlich am Fenster und blickte nach Westen. In ihrer Hand hielt sie den kleinen Stern, das Geschenk Tankronds. Als sie ihren Blick auf die leuchtende Kugel in ihrer Hand hinabsenkte, lag Trauer in ihrem Gesicht. So wie die
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