Das Erbe in den Highlands
Augen?«
»Grün«, antwortete sie ohne nachzudenken, dann biss sie sich auf die Lippe und erwachte abrupt aus diesem tranceartigen Zustand, der sie dazu gebracht hatte, draufloszuplappern wie ein plätschernder Bach. Du meine Güte, was hatte sie gesagt?
»Dunkelgrün?«
Sie zögerte. Dann biss sie sich erneut auf die Lippe. Was hatte sie denn schon zu verlieren? Ihren Stolz? Nein, der war bereits dahin. Sie blickte auf ihre Hände, die zwischen anderen Händen auf der Mauer lagen, Kendricks großen kräftigen Händen.
»Nein«, sagte sie leise.
»Vielleicht ... die Farbe von Salbei?«
Sie nickte stumm. Lieber Gott, lass ihn jetzt keine Scherze mit mir machen!
»Erzählt mir mehr von dem Burschen«, verlangte er. Seine
Stimme so nah an ihrem Ohr jagte ihr Schauder über den Rücken. »Sieht er gut aus?«
»Oh, Kendrick«, beschwor sie ihn.
»Ich will es wissen«, knurrte er. »Ich will wissen, ob es einen anderen Mann gibt, den ich heute Abend unbedingt noch töten muss, weil er Euch mir wegnehmen will. Also, sprecht von Eurem Ritter. Sieht er gut aus?«
Einen Mann umbringen, weil er Euch mir wegnehmen will? Genevieve spürte, wie Wärme ihre Brust durchströmte, ein köstliches Gefühl von Zugehörigkeit, das sie noch nie empfunden hatte. Tief in ihrem Inneren keimte ein Lächeln auf und brachte auf seinem Weg nach draußen Tränen mit.
»Genevieve, sprecht«, wiederholte er schroff. »Sieht er gut aus?«
»Leidlich.« Als wüsste Kendrick das nicht schon.
Ein kurzes Atemholen, gefolgt von leisem Grunzen. »Arrogant?«
Sie lächelte wieder. »Sehr.«
»Übellaunig?«
»Nicht immer«, erwiderte sie und spürte, wie ihr Lächeln wehmütig wurde. »Nein, er kann sehr lieb sein, wenn er will.«
»Genevieve.« Kendricks Stimme war auf einmal ganz heiser geworden. »Meine Liebste, du hast die Burg deiner Träume. Hier unter deinen Füßen. Und du hast deinen Ritter. Wenn er dir gefällt.«
Genevieve drehte sich langsam um. Nie hatte sie sich so sehr nach Armen aus Fleisch und Blut gesehnt wie jetzt. Sie lehnte sich an die Mauer und sah zu Kendrick auf. Das Mondlicht fiel sanft auf sie herab und tauchte Kendricks Gesicht in Schatten. Doch es reichte aus, und sie konnte seinen liebevollen Gesichtsausdruck und die Ehrlichkeit in seinen Augen erkennen.
»Soll ich Eure Drachen für Euch töten, Mylady?«
»Oh, Kendrick ...«
»Yea oder nay.« Er streckte die Hand aus und hielt augenblicklich sein Schwert darin, die Klinge glitzerte im Mondlicht. »Mein Schwert ist gezogen und bereit. Soll ich es schwingen? Wollt Ihr die Meine sein und mich für Euch kämpfen lassen?«
Genevieve blickte schweigend zu ihm auf. Direkt vor ihren Augen wurden ihre Träume wahr, und sie wusste überhaupt nicht mehr, was sie denken sollte. In der Vergangenheit hatte sie sich schon bei so vielen Sternschnuppen etwas gewünscht und ihnen höflich nahegelegt, ihr jemanden zu schicken, der nur sie allein liebte. Von Sternschnuppen wird behauptet, sie hätten einen mächtigen Einfluss auf Wünsche, doch Genevieve hatte nie so richtig daran geglaubt.
Bis jetzt.
»Oh«, sagte sie und wischte sich über die Augen. »Ja. Das möchte ich sehr gerne.«
Das Schwert verschwand. Er legte die Hand an ihre Wange. Ein sehnsuchtsvoller Ausdruck huschte über seine Züge, und er ließ hastig den Arm sinken, wich aber nicht vor Genevieve zurück.
»Wenn ich die Kraft dazu hätte«, murmelte er, »würde ich dich besinnungslos küssen.«
Bei dieser Vorstellung erbebte sie.
»Dir ist kalt«, stellte er fest und kam näher, als könnte er sie selbst wärmen.
»Nein, eigentlich nicht«, hauchte sie. Dieses Erbeben hatte ganz und gar nichts mit Kälte zu tun.
Er sah sie ein paar Sekunden lang schweigend und mit ernster Miene an. Dann lächelte er, ein wehmütiges Lächeln, bei dem ihr beinahe wieder die Tränen kamen.
»Komm«, sagte er leise, »lass uns hinuntergehen. Ich habe keinen Mantel, den ich dir umhängen könnte. Wenn du zu Bett gehst, werde ich dich warm zudecken.«
Sie nickte und folgte ihm entlang der Brustwehr.
»Singst du mir heute Abend etwas vor?«, fragte sie.
»Nennt Euer Begehr.«
»Das Lied, das du gestern früh gesungen hast.«
»Welches war das?«, fragte er, als erinnerte er sich nicht.
»Du weißt schon welches. Das von dem wüsten Frauenzimmer, das alle Ritter unter den Tisch trinkt, ihnen dann den Harnisch abnimmt und ihn verkauft. Das Lied mag ich sehr.«
Kendrick stöhnte, als sie durch die Tür und die
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