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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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Damaststücken, in die die neugeborenen Knaben gewickelt worden waren, wusste, woher sie stammten. Er hätte mit Fug und Recht ein Wort Gottes auf den Tisch knallen können, aber warum? Was hätte es genützt?
    Er war, trotz seines energischen Auftretens, ein gütiger und lieber Mann. Gute Menschen erkennen immer Güte in anderen und achten sie. Christina war gut wie Gold, wie Bernstein, wie der flammendste Sonnenuntergang. Sie konnte keiner Fliege etwas
zu Leide tun, und er mochte sie nicht kritisieren, weil sie zu sehr liebte. Er wusste ja, dass sie eine seltene Blume war, mit einer Lebensfreude, die man zwischen diesem Himmel und diesem Meer nur selten fand. Nicht zuletzt Männer wie er hatten den Menschen Angst vor der Freude aufgezwungen, auch das gab er zu, mit einem Gutteil unterdrückter Trauer. Aber er hatte keine Ahnung, wie er das alles ändern sollte. Er war seinem Bischof und seinem Glauben gegenüber verantwortlich, und er konnte doch hier in Paullund kein neues Sodom entstehen lassen. Außerdem konnte zu viel Freude in die Irre und zu Trinkereien, Festen und ausschweifendem Geschlechtsleben führen. Er hatte in der königlichen Stadt sein Abitur und sein theologisches Staatsexamen abgelegt und wusste, wovon er sprach. Er hatte seinen Anteil Bier getrunken und wusste genau, wo man nach dem vierten Krug gern seine Finger hinsteckt.
    Und eben weil er auch anderes gesehen hatte, war er seiner Berufung an die jütische Westküste gefolgt, denn er brachte diesen Menschen, die trotz des harten Klimas, des gierigen Meeres und der tückischen Heide, die eine Ernte nur erlaubte, wenn es ihr passte, hier draußen ihr Leben meisterten, eine Schwindel erregende Bewunderung entgegen. Diese Menschen bewiesen jeden Tag, bei all ihren Handlungen, wie groß die Macht des Willens ist. Des Willens, jeden äußeren Widerstand zu überwinden und davon stark und demütig zu werden, auch wenn sie hinter verschlossenen Türen sicher ahnten, wozu Kaffeepunsch und Schnaps und ein warmer Frauenleib gut sein konnten. Und in dieser kargen, zähen Landschaft zwischen Meer und Himmel hatte er Christina gefunden, seine Sonne. Allein die Tatsache, ihr den zweiten Vornamen Sol, Sonne, zu geben, war kühn gewesen und hatte an Hochmut gegrenzt. Aber sie war das einzige Kind des Fischerpaares gewesen und gekommen, als die Mutter eigentlich schon zu alt war und beide die Hoffnung aufgegeben hatten. Sie waren bettelarm, und die Mutter war bis zu Christinas Geburt mit dem Vater zum Fischen ausgefahren. Auch das
war unerhört. Sie war wirklich eine seltene Blume, ein weiblicher Isaak, um dessen Opferung niemand den Vater gebeten hatte, und mit einer Zerbrechlichkeit mitten in ihrer Stärke, an die er nicht rühren wollte. Er betete sie anspruchslos an, genau wie Mogens. Und vielleicht erlaubte er es Mogens deshalb, seine Leidenschaft auszuleben, auch wenn deren Macht ihm Angst machte – weil er sie wiedererkannte.

    Er selber gab sich fast all seinen Tätigkeiten voller Leidenschaft hin. Das war für ihn eine angeborene Notwendigkeit. Er hielt Müßiggang für ein unverzeihliches Laster. Und sein Glaube war felsenfest. Deshalb war es auch seine Pflicht, den Jungen das Denken zu lehren.
    Hier sollte wahrlich nicht gestickt werden. Probst Thygesen gab als Erster zu, dass Bauernkinder und Fischersbrut eher handfeste Kenntnisse über Strohdächer brauchten als Latein, und er glaubte daran, dass er es im Konfirmandenunterricht entdecken würde, wenn unter Paullunds Jugend ein besonderes Talent wäre. Und dann wäre es noch immer nicht zu spät. Aber bisher hatte er sich niemals bemüßigt gefühlt, sich um ein geistiges Talent zu kümmern, das an der falschen Stelle gelandet war.
    Ein Geistlicher war ein Vorsteher, im ursprünglichen Sinne dieses Wortes, einer, der seinen Verstand mit anderen teilen und ein Brückenbauer sein sollte, ein Pontifex zwischen Gott und den Menschen. Und er musste sie dazu bringen, hart zu arbeiten für das, was sie am besten konnten, ohne irdischem Gut und Gold nachzujagen. In der irdischen Arena war es genug, ausreichend zu besitzen, alles andere wäre Gotteslästerung. Lieber emsig wie eine Ameise und geflickte Hosen als geschmückt in feinen Kleidern und ein träger Esel! Du verstehst doch, was ich meine? Die Worte seines Vaters hallten noch in seinen Ohren wider, er war ebenfalls Pastor gewesen, wenn auch im fruchtbareren und zivilisierteren Nordseeland.
    Ja, er verstand, was sein Vater gemeint hatte. Und jetzt

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