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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne B Ragde
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der seinem Vater so gehorcht hat wie Dir, Herr. Er liebt das Meer und das Leben und das Land, er liebt es, nützliche Arbeit zu verrichten, nulla dies sine linea. Aber Probst Thygesen gestattete sich auch das Wissen, dass der Tod für die Menschen kein Zustand sei, sondern ein Begriff für die Hinterbliebenen, und dass Abschluss ein besseres Wort gewesen wäre. Seine Zeit als Vater war abgeschlossen. Als Vater hatte er sich von Gott eine heftige Maulschelle eingefangen. Als Geistlicher dagegen nahm er bis auf weiteres Abschied von seinem Sohn. Als Mensch war er ebenso hilflos wie der Junge im Sarg. Ein Junge, auf dessen Brust ein kleines Stück Damast lag, entlang des Hohlsaums bestickt mit seinem Namen.
    ... Und danach sah ich, und siehe, es ward eine Thür im Himmel geöffnet, und die erste Stimme, die ich gehört hatte wie eine Posaune, sprach zu mir: Komm herauf, und ich will dir zeigen, was hernach geschehen soll. Und ich wurde in Verzückung versetzt, und siehe, ein Thron stand im Himmel ...
    Probst Herlovsen aus Malding sagte alles, was hier angebracht war. Das, was trösten, huldigen, beteuern, platzieren sollte. Aber Carl Thygesen fröstelte plötzlich, wie in einem feuchten, kalten Grab. Von nun an musste er seinen Herrn intensiver preisen denn je zuvor! Er musste seinen Sinn öffnen, wie das Lamm Gottes, das er schließlich war, mit vollkommenem Vertrauen und kindlichem Glauben, wenn er diesen Frost unschädlich machen wollte. Er öffnete die Augen und horchte auf alle schlagenden Herzen. Die Kirche war erfüllt von hämmernden Herzen. Sie sangen in seinen Ohren, und am härtesten schlug sein eigenes.
Er legte seine Hand auf Christinas. Sie hob den Kopf und wollte seinen Blick erwidern, fand ihn jedoch nicht, obwohl ihre Augen mitten in seine starrten.

D er Vater ging zu seinen Büchern und seinem Gott. Er trauerte aktiv und zielstrebig, wie ein Gelehrter. Die Mutter hatte keinen solchen Zufluchtsort. Sie fürchtete sich.
    Egal wie oft Mogens auch hörte, wie der Vater nachts im Bett auf sie einflüsterte, am nächsten Morgen war ihre Furcht unvermindert. Sie sah oft in anderen Häusern den Tod, bei Alten wie bei Kindern. Aber diesen Tod, auf ihrem eigenen Küchenboden, den konnte sie nicht ertragen. Sie überwachte jeden Schritt, den die Jungen machten. Sie horchte den ganzen Tag aufs Wetter, wenn Peter zum Fischen hinausfuhr. Sie glaubte erst, dass er noch lebte, wenn er wieder zu Hause war. Wenn Frode erwähnte, er sei bald alt genug, um ebenfalls mit hinauszufahren, dann griff sie nach ihrem Tuch, ging hinaus und blieb oft eine ganze Stunde aus.

    Der Vater gab Mogens keinen Unterricht mehr. Er sagte ihm nur, was er lesen solle und beantwortete Fragen, falls Mogens welche hatte. Aber Mogens las nicht. Er schlug das Buch auf irgendeiner Seite auf und saugte sich irgendeine Frage aus den Fingern. Der Vater gab ihm unter anderem Adam Homo von Paludan-Müller. Mogens öffnete während einer Zeit von drei Wochen diese Bücher aufs Geratewohl, und der Vater schien durchaus keinen Argwohn zu schöpfen. Die Bücher behandelten Adams Verhältnis zu Gott und den Abfall der Menschen von den ewigen Gesetzen,
wie der Vater es ausdrückte. Aber er hatte ja keine Ahnung von dem Gelübde, das Mogens an Carlchens Todestag auf der Heide vor sich selber abgelegt hatte. Die Bücher des Vaters handelten allesamt von Gott und Gottvertrauen. Aber Mogens wusste genug über Gott, um Ihm den Rücken zuzukehren. Seltsamerweise hinterließ dieser Unglaube kein Vakuum. Es war eher eine Erleichterung, da nicht einmal Jesu’ Kreuzigung ihn jetzt noch belastete; und dafür konnte er ja nun wirklich dankbar sein.
    »Mogens, mein Sohn«, setzte der Vater eines Abends an, mehrere Monate nach Carlchens Tod. Sie saßen nach dem Essen in der Küche. Elise setzte für den nächsten Tag einen Sauerteig an. Die Mutter stopfte Strümpfe. Der Vater saß mit der Bibel unter der Lampe. Peter, Frederic und Frode halfen auf Hof Abelsbæsk beim Lammen. Mogens war mit Schreibheften und Tinte beschäftigt und schrieb Madvig ab, nur um etwas zu tun zu haben. Er war nicht zum Lammen mitgegangen, er konnte das viele Blut nicht sehen. Und Mädchen waren ihm im Moment auch egal. Adele ging jetzt mit einem älteren Jungen. Das war eine widerwärtige Vorstellung.
    Mogens schrieb automatisch, mit einer Schwere im Leib, an die er sich inzwischen gewöhnt hatte. Der Vater wollte nie wissen, was er machte, er gab nicht einmal jetzt einen Kommentar ab, als er

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