Das Erbstueck
haben sie mich neugierig gemacht.«
Sie lachte kreideweiß zwischen ihren Locken. Er musste sich setzen. Frode würde tot umfallen, wenn er das hörte. Die Rosengeschichte würde er zu einem einzelnen Strauß reduzieren, alles andere würde zu närrisch wirken. Ein Strauß Rosen und ein
wohlformulierter Gruß in seiner eigenen exquisiten Handschrift, und schon war er in die Garderobe eingeladen worden. Zur engelschönen Malie-Thalia. Gleichzeitig fühlte er sich seltsam ruhig. Er zitterte nicht, weder an den Händen noch an den Knien. Ihr Gesicht aus der Nähe zu sehen – das war, wie nach Hause zu kommen.
Sie war bleich, fast weiß. So eisweiß wie die Tischdecke im Café Mio. Ihre Augen glühten, als seien sie zu heiß für das übrige Gesicht. Als sie von der Toilette zurückkehrte, sah er, dass sie geweint hatte. Er wollte nicht fragen, warum. Sie dagegen fragte:
»Warum? Warum diese vielen Rosen?«
»Ich bin einfach unendlich begeistert von Ihnen ... von dir. Unendlich.«
»Aber du kennst mich doch nicht.«
»Mir kommt es aber so vor.«
»Du riechst gar nicht nach Farbe.«
»Sollte ich das?«
»Wenn du Blaumaler bist. Dass du dann nicht nach Farbe riechst. Das ist seltsam.«
»Ich male mit Kobalt. Das ist zerstoßenes Glas. Fein gemahlenes Glas. Gemischt mit Wasser. Es riecht nach nichts. Es kommt aus dem Kongo. Früher kam es aus Norwegen. Dahin habe ich gerade eine kleine Reise gemacht.«
»Bist du verliebt in mich, was glaubst du?«
»Absolut. Ja. Das bin ich.«
Er begegnete ihrem Blick, wünschte sich brennend, dass sie den Mann in ihm sah, dass sie ihn nicht so betrachtete, wie Anne-Gine das getan hatte: als bleich und kränklich. Er richtete sich auf, hob das Kinn, bereute, sich niemals das Rauchen angewöhnt zu haben. Eine Zigarre hätte sich jetzt gut gemacht. Zum Glück war sein Hemdenkragen weiß und neu, und er trug sein bestes Jackett.
»Willst du heiraten?«, fragte sie.
Er ließ seine Schultern sinken, starrte sie an.
»Heiraten?«
»Du bekommst doch sicher eine Lohnerhöhung, wenn du heiratest? Das bekommen schließlich alle Männer. Während die Frauen gefeuert werden. Stimmt das nicht? Bekommst du keine Lohnerhöhung ... Mogens?«
»Das geschieht automatisch. Das ist bei uns die Regel. Die Leitung wünscht sich stabile Verhältnisse unter dem Personal«, antwortete er mechanisch.
»Du willst also? Heiraten?«
»Ja. Irgendwann bestimmt.«
»Mich?«
Er ließ sich im Sessel zurücksinken. Ihre Augen waren plötzlich feucht. Die roten Lippen bebten. Er schaute sich im Lokal um. Er träumte nicht. Er war hier. Verflixt und zum Henker, er war hier. Seine Oberschenkel klebten schweißnass am Sessel. Er ballte die Fäuste und öffnete sie. Als er an diesem Abend sein Zimmer in der Bissensgade abgeschlossen hatte, war seine Laune nicht gerade die beste gewesen. Es hatte geregnet, und er hatte seinen Regenschirm auf dem Zimmer vergessen. Eine Pferdedroschke bespritzte ihn mit Wasser. Ein ganz normaler Abend. In der Fabrik stand sein Arbeitstisch wie immer da. Auch Carl-Peter hatte den Blauen Engel gesehen, zusammen mit seiner Frau, die sich geärgert hatte und eifersüchtig geworden war. Carl-Peter redete einen ganzen Arbeitstag hindurch über Malie-Thalia und summte die Lieder. Mogens hätte um ein Haar über seinem fettigen Scheitel einen Essteller in Vollspitze zerschlagen.
»Ich sehe, du bist ein wenig schockiert«, sagte sie jetzt. »Aber du gefällst mir. Und ich bin schwanger, im dritten oder vierten Monat. Ich werde entlassen. Eine andere wartet schon und wird unmerklich in meine Rolle hineingleiten. Eine neue Lola-Lola. Ich brauche einen Mann, den ich heiraten kann.«
Während sie das sagte, strömten ihre Tränen los, sie liefen als koksgraue Streifen über die weißen Wangen.
»Aber ... aber was ist mit dem Vater? Ich meine, den des Kindes ...«
»Er ist verheiratet. Er weiß nichts davon. Es wird dein Kind sein.«
Sie schluchzte los. Er sprang auf und lief um den Tisch, legte ihr die Arme um die Schultern, beugte sich über sie und hielt seinen Mund an ihr Ohr:
»Aber, aber, nicht weinen, Liebes, alles geht gut, so gut, wir schaffen das gemeinsam, aber, aber, kleines Fräulein Jebsen ...«
Die anderen Gäste glotzten. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Hier bückte er sich und hatte Frau und Kind geschenkt bekommen. Eine Frau, die nach Lilien duftete und die im Matrosenkleid die bezauberndste der Welt war. Herrgott, wie sehr er sie liebte.
»Aber ich
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