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Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac

Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac

Titel: Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Verne
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verlieh. So war es schon immer gewesen …
    Von einem Fall indessen abgesehen.
    Wenn es höchst ungewöhnlicherweise geschah, daß der mit dem Charakter als Onkel Belehnte seiner Pseudonichte berechtigten Anlaß zur Klage gab oder auf den Gedanken kam, sich ihrem Willen – das heißt einer ihrer Launen – tatsächlich zu widersetzen, so nahm diese auf der Stelle für sich den Rang in Anspruch, auf den sie in Wirklichkeit Anspruch hatte, und gab ihrem ›Neffen‹ zu verstehen, er habe ihr den einer Verwandten in aufsteigender Linie gebührenden Respekt zu erweisen. Der ›Neffe‹, der an diesem Zeichen erkannte, daß die Dinge eine Wendung zum Schlechten zu nehmen drohten, beeilte sich dann nachzugeben, um seine verehrungswürdige ›Tante‹ zu beschwichtigen. Aus diesem Dualismus der Anreden ergaben sich zuweilen recht ergötzliche Dialoge.
    »Onkel? …« redete Jane ihn also an diesem Tage an.
    »Ja, meine Liebe? …« reagierte Agénor, der ganz in die Lektüre eines der Kunst des Angelns gewidmeten Quartbandes versunken war.
    »Ich möchte mit dir über George sprechen.«
    Überrascht hob Agénor den Kopf von seiner Lektüre.
    »Über George? …« wiederholte er etwas verwirrt. »Über welchen George?«
    »Über meinen Bruder George«, präzisierte Jane in aller Ruhe.
    Agénor erbleichte.
    »Aber du weißt doch sehr wohl«, warf er mit zitternder Stimme ein, »daß dieses Thema verboten ist, daß nicht einmal dieser Name hier mehr ausgesprochen werden darf.«
    Mit einer Kopfbewegung wies Jane diesen Einwurf zurück.
    »Das macht nichts«, erklärte sie vollkommen unbeirrt. »Onkel, erzähle mir von George.«
    »Was soll ich dir da sagen?«
    »Alles. Die ganze Geschichte. Alles.«
    »Nie in meinem Leben!«
    Jane runzelte die Brauen.
    »Lieber Neffe! …« stieß sie in drohendem Ton hervor.
    Eines weiteren Ansporns bedurfte es nicht.
    »Schon gut! … Schon gut! …« stammelte Agénor, der darauf sogleich die traurige Geschichte erzählte, die sie von ihm hören wollte.
    Er erzählte sie von Anfang bis zu Ende, ohne irgendeine Einzelheit auszulassen. Jane hörte ihm schweigend zu und stellte auch keine Fragen, als er geendet hatte. Agénor meinte, die Sache werde damit erledigt sein, und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    Aber er täuschte sich. Ein paar Tage darauf kam Jane auf ihr Ansinnen zurück.
    »Onkel? …« interpellierte sie von neuem.
    »Ja, meine Liebe? …« antwortete Agénor wiederum.
    »Wenn George nun doch trotz allem nicht schuldig wäre?«
    Agénor glaubte nicht recht gehört zu haben.
    »Nicht schuldig? …« wiederholte er. »Ach, mein liebes Kind! Da besteht leider kein Zweifel. Verrat und Tod des unseligen George sind historische Tatsachen, für die es an Beweisen nicht fehlt.«
    »Welche Beweise sind das?« forschte Jane.
    Agénor wiederholte seinen Bericht. Er zitierte die Zeitungsartikel, die amtlichen Verlautbarungen, gegen die niemand Einspruch erhoben hatte. Er wies endlich auf die Abwesenheit des Schuldigen hin, in der er einen deutlichen Beweis seines tatsächlich erfolgten Endes sähe.
    »Seines Endes, zugegeben«, hielt ihm Jane entgegen, »aber seines Verrates?«
    »Das eine ist die Folge des anderen«, antwortete Agénor, durch soviel Hartnäckigkeit etwas aus dem Text gebracht.
    Die Hartnäckigkeit des jungen Mädchens war noch größer, als er vermutete. Oft kam sie von diesem Tage an auf das schmerzliche Thema zurück und setzte Agénor mit immer neu auftauchenden Fragen zu, aus denen man mit Leichtigkeit schließen konnte, daß sie in ihrem Herzen den Glauben an die Unschuld ihres Bruders unangefochten bewahrte.
    In diesem Punkt jedoch war Agénor nicht zu überzeugen. Als Antwort auf ihre besten Argumente schüttelte er nur melancholisch den Kopf wie ein Mann, der einer unnützen Diskussion aus dem Wege gehen will; Jane aber spürte sehr wohl, daß er in seiner Meinung nicht erschüttert war.
    So stand es auch noch an dem Tage, an dem sie die Geduld verlor und beschloß, ihre Autorität endlich geltend zu machen.
    »Onkel? …« fing sie auch an diesem Tag wieder an.
    »Ja, meine Liebe? …« fragte Agénor wie gewöhnlich zurück.
    »Ich habe sehr viel nachgedacht, Onkel, und ich bin nun ganz entschieden der Meinung, daß George an dem abscheulichen Verbrechen, das man ihm zur Last legt, unschuldig ist.«
    »Aber immerhin, meine Liebe …« brachte Agénor hervor.
    »Es gibt kein ›immerhin‹«, schnitt Jane ihm gebieterisch die Rede ab. »George ist

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