Das erste Buch der Traeume
mehr gekränkt. »Aber warum sollte ich das tun?«
»Weil es … weil ich …« Grayson fuhr sich mit der mir mittlerweile vertrauten Verlegenheitsgeste über die Stirn und sah mich an, als hoffte er, dass ich den Satz für ihn beenden würde.
Aber so leicht wollte ich es ihm nicht machen. Ich setzte eine traurige Miene auf. »Du willst mich nicht dabeihaben?«
Er nickte.
Wie gemein. »Tja, da kann man nichts machen«, sagte ich mit einem Schulterzucken. »Es ist nur – Mum hat sich unheimlich gefreut, dass du und deine Freunde so nett zu mir seid.« Tatsächlich hatte Mum genau das gesagt, was ich erwartet hatte. »Ach, wie reizend von Grayson und seinen Freunden! Und natürlich musst du da hingehen. Ich freue mich ja so, dass du so schnell Anschluss gefunden hast!«
Grayson stieß ein komisches Schnauben aus. »So nett sind wir gar nicht, weißt du? Besser, du hältst dich von uns fern.« Er stieg auf sein Fahrrad.
»Ja, ich werde es Mum ausrichten«, sagte ich und setzte ein wenig heimtückisch hinzu: »Aber vielleicht erklärst du ihr die Gründe lieber selber.«
Dieser Gedanke schien Grayson gar nicht zu behagen. Er sah alles andere als glücklich aus. »Vergiss meinen Pulli nicht«, sagte er im Losfahren. »Ich hätte ihn gern morgen zurück. Er braucht auch nicht gewaschen zu sein.«
»Okay«, sagte ich gedehnt.
»Was war das denn?« Mia war wie ein Kastenteufelchen hinter einem Mauervorsprung aufgetaucht. Gemeinsam sahen wir Grayson nach. »Erst tut er so nett, und dann will er dich nicht auf diese Party mitnehmen? Jetzt würde ich an deiner Stelle aber erst recht hingehen.«
»Ja, allerdings«, stimmte ich ihr zu. »So ein …« Ich suchte nach dem passenden Wort.
»… Blödmann«, sagte Mia schlicht und hakte sich bei mir ein. Nebeneinander schlenderten wir zur Bushaltestelle.
»Wie war dein Tag?«, erkundigte ich mich.
»Ganz gut, eigentlich. Auch wenn mir diese Mädchen ganz schön auf die Nerven gehen. Echt jetzt, wenn ich mal so eine Tussi werde, die wegen einem Typen ihr Gehirn abgibt und ihre Schulhefte nur noch mit Herzchen bekritzelt, möchte ich bitte erschossen werden.«
»Ich werde dich daran erinnern.«
»Ernsthaft! Ich bin so froh, dass wir gegen Jungs immun sind, Livvy.«
»Vielleicht nicht direkt immun, aber zumindest schwer entflammbar«, gab ich zu. Notgedrungen. Wenn man wie wir jedes Jahr umzog, musste man mit dem Verlieben vorsichtig sein, sonst brach es einem beim Abschied das Herz. Und wer wollte das schon? »Aber vielleicht hat Mum recht, und irgendwann, wenn der Richtige kommt …«
»Der soll gefälligst warten, bis ich meinen College-Abschluss habe!«
Ich boxte Mia in die Seite. »Das hat Tante Gertrude bestimmt auch immer gesagt«, versuchte ich, ihr Angst zu machen. »Und sieh, was aus ihr geworden ist.«
»Na und? Ich werde bestimmt nicht mit vier Katzen in einem grauenhaften Haus sitzen und Deckchen häkeln. Stattdessen werde ich als berühmte Privatdetektivin in der ganzen Welt die interessantesten Fälle lösen.«
»Vielleicht kannst du damit anfangen, mir zu erklären, warum Grayson unbedingt seinen Pulli zurückhaben will.« Ich war immer noch beleidigt.
»Vielleicht ist es sein Glückspulli«, überlegte Mia. »Oder er hat einen Liebesbrief darin versteckt. Oder er ist einfach ein Blödmann.«
»Ja. Ich fürchte, das ist er.« Und deshalb würde ich das Kapuzenshirt auch noch behalten, aus purer Gemeinheit.
Erst am Abend, als ich in mein Nachthemd schlüpfte und Graysons Pulli auf der goldgepolsterten Bank vor dem Bett liegen sah, kam mir der Gedanke, dass etwas anderes dahinterstecken könnte. Dass Grayson einen ganz besonderen Grund hatte, das Teil so übertrieben eilig zurückzufordern. Ich nahm es in die Hand und grub meine Nase hinein. Es hatte durchaus das Zeug zum Lieblingspulli, aus butterweicher, schwerer Baumwolle, innen angeraut. Und es roch immer noch ein bisschen nach Grayson beziehungsweise Graysons Waschpulver.
Die Taschen waren leer, und ich tastete sicherheitshalber auch die Säume ab. Nichts.
Vielleicht … es war ein verrückter Gedanke, aber vorgestern Nacht hatte ich das Sweatshirt im Bett getragen und war dann seinem rechtmäßigen Besitzer im Traum begegnet. Konnte es sein, dass Grayson es deshalb jetzt so plötzlich zurückhaben wollte? Bestand ein Zusammenhang zwischen dem Pulli und dem Traum? Egal, wie seltsam sich das auch anhörte, heute Nacht würde ich das Sweatshirt auf jeden Fall noch einmal tragen. Nur um zu
Weitere Kostenlose Bücher