Das erste Buch der Traeume
rief und dabei wütend einen Regenschirm in die Luft reckte.
Henry stieg neben mir über die Bank und rüttelte an Graysons Schulter. »Hey, Grayson! Jetzt krieg dich mal wieder ein. Das ist nur ein verdammter Albtraum.«
Grayson nahm das Handtuch runter. »Kann man wohl sagen«, murmelte er.
»Nein, ehrlich, Mann. Du träumst das nur. Oder meinst du im Ernst, Tyler Smith von den dämlichen Hampstead Hornets würde so einen spektakulären Dunking hinkriegen? Guck doch mal genau hin.«
»Na ja«, sagte Grayson zweifelnd. »Im Spiel wächst man manchmal über sich hinaus …«
»Aber Tyler Smith? Nicht in hundert Jahren.« Henry richtete sich wieder auf. »Tu mir einen Gefallen und träum was anderes. Was Schönes! Aber warte, bis wir durch die Tür sind, ja?«
Grayson sah uns unschlüssig an. »Das ist ein Traum?«
»Natürlich ist das ein Traum«, sagte ich. »Meinst du, sonst könnte es Henry zweimal geben?«
»Stimmt«, gab Grayson zu. »Das ist merkwürdig.«
»Komm!« Henry griff nach meiner Hand. »Wir müssen los, Liv.«
»Grayson kann ja mitkommen.« Mein Herz schlug ein bisschen schneller, und ich wusste nicht, warum.
»Auf keinen Fall.« Grayson schüttelte den Kopf. »Ich kneife doch jetzt nicht! Nie würde ich die Mannschaft im Stich lassen! Das wäre feige und ehrlos.«
»Aber Grayson, das hier passiert alles gar nicht wirklich.« Ich musste es über meine Schulter rufen, denn Henry zog mich bereits die Stufen hinauf, und der Lärm in der Halle war entsetzlich.
»Grayson kommt schon allein klar«, versicherte mir Henry.
»Aber … es hört sich an, als wollten sie ihn gleich lynchen!« Wir waren vor Graysons Tür angelangt, und ich drehte mich noch einmal um. »Hör doch!«
»Ich bin ja nicht taub.«
»Brennen soll er, der Verräter, und zwar jetzt und keinen Tag später!«, skandierte der Mob, während Henry die Tür aufstieß und mich über die Schwelle in den Korridor auf der anderen Seite schob. Energisch zog er die Tür hinter uns ins Schloss, und das Gejohle und der Lärm aus der Halle verstummten augenblicklich.
»Du bist ja ein toller Freund«, sagte ich vorwurfsvoll.
»Und du bist noch da.« Ich wusste nicht, ob er es zu mir sagte oder zum Fürchterlichen Freddy, der nun seine Flügel spreizte und sich ein wenig aufplusterte.
»Hier darf nur passieren, wer meinen Namen dreimal rückwärts spricht.«
»Ja, ja, vielleicht demnächst wieder, Dickerchen«, sagte Henry. Er hatte offenbar vergessen, meine Hand loszulassen, und ich beschloss, ihn nicht daran zu erinnern. Noch nicht. Es fühlte sich nämlich ganz gut an.
Verstohlen betrachtete ich Henry von der Seite. Die Lichtverhältnisse in diesem Korridor entsprachen am ehesten denen eines Sommerabends, wenn die Sonne gerade hinterm Horizont verschwunden und es weder richtig hell noch richtig dunkel ist. Es gab hier nirgendwo Fenster oder Lampen, deshalb war auch nicht ersichtlich, woher das Licht überhaupt kam. Auf jeden Fall ließ es Henry ziemlich gut aussehen. Mich auch, hoffentlich, denn er unterzog mich ebenfalls einer eindringlichen Musterung.
»Du bist noch da«, sagte er dann wieder.
»Ist das gut oder schlecht? Und sollten wir nicht wieder hineingehen und dem armen Grayson helfen?«
»Mach dir keine Sorgen wegen Grayson. Dem geht’s gut. Morgen früh weiß er nicht mal mehr, was er geträumt hat.«
»Und wir?«
»Das versuche ich gerade herauszufinden.« Er lächelte mich an. »Gehen wir ein paar Schritte?«
»Das tun wir doch längst.« Ja, das taten wir tatsächlich. Wir schlenderten nebeneinander den Korridor hinunter. Hand in Hand. Eine ganz neue Erfahrung für mich, sowohl im Traum als auch in Wirklichkeit. Von mir aus konnte das gerne noch ein bisschen andauern.
»Hoffentlich kommt jetzt nicht Lottie mit dem Beil um die Ecke«, murmelte ich.
»Was?«
»Ach nichts.« Jetzt erst sah ich, dass von diesem Korridor mehrere Gänge abzweigten, weitere Korridore voller Türen, und alle unendlich lang. Wir hätten längst an meiner Tür vorbeikommen müssen, aber offenbar hatte sie wieder ihren Platz gewechselt. »Wenn wir uns eben in Graysons Traum befunden haben, in wessen Traum befinden wir uns dann jetzt gerade?«
»Interessante Frage«, sagte Henry, und zuerst dachte ich, er würde es bei dieser Nicht-Antwort belassen. Dann aber setzte er hinzu: »Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder es ist mein Traum – in dem Fall träume ich gerade von dir. Oder …« Er verstummte wieder.
»Oder es ist mein
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