Das erste Buch der Traeume
bemühte mich, nicht zu kichern.
Emily und Grayson küssten sich immer noch, und irgendwie wurde es allmählich unangenehm, dabei zuzuschauen.
»Vielleicht sollten sie sich lieber ein Zimmer suchen«, murmelte Jasper. Henry und Arthur tauschten einen kurzen Blick.
»Ähm, Liv, möchtest du dir vielleicht das Kino und das Filmarchiv angucken?«, fragte Arthur dann unvermittelt.
Mit einem Schlag war ich hellwach und hochkonzentriert. Ging es etwa schon los? Würde ich jetzt erfahren, warum Grayson sich so bemüht hatte, mich von dieser Party fernzuhalten? Jasper, Arthur und Henry schienen genauso gespannt zu sein wie ich. Sie sahen mich abwartend an, man konnte auch sagen, lauernd.
Sag einfach nein – ich hatte Graysons Worte keineswegs vergessen.
»Ja«, sagte ich mit Nachdruck. »Liebend gern.«
18.
Im Gang zurück zum Haupthaus merkte ich erst, wie laut die Musik auf der Party wirklich gewesen war. In meinen Ohren fiepte es, während die wummernden Bässe hinter uns zurückblieben und schließlich nur noch unsere Schritte unnatürlich laut auf dem polierten Granitboden hallten.
Ich drehte mich um. »Wo ist denn Jasper?«
»Er mixt uns ein paar Drinks und kommt dann nach. Hier entlang.« Wir hatten das Endes des Ganges erreicht und bogen in die Empfangshalle mit dem Springbrunnen ein, der friedlich vor sich hin plätscherte. Niemand war zu sehen, aber man konnte gedämpftes Stimmengewirr und Klaviermusik hören.
»Kino und Archiv liegen im Untergeschoss«, erklärte Arthur und öffnete eine Tür.
Eine Treppe führte vor uns in die Tiefe. Meine Füße blieben von ganz allein stehen.
»Vielleicht nicht die schlauste Idee, mit zwei fremden Typen in einen düsteren Keller zu gehen, oder, Liv?« Henry trat neben mich und sah mich von der Seite an, die Augenbraue wie üblich spöttisch hochgezogen.
Merkwürdigerweise hatte ich gerade genau dasselbe gedacht (und meine Füße offensichtlich auch). Hatte meine Mum nicht erst vor wenigen Stunden die Befürchtung geäußert, ich würde nie im Leben etwas Leichtsinniges tun, genau wie mein Vater? Ha, von wegen!
Aber wie Mr Wu immer sagte: »Wer über jeden Schritt lange nachdenkt, der steht sein Leben lang auf einem Bein.«
Ich setzte mich wieder in Bewegung. »Wovor sollte ich denn Angst haben?«, erkundigte ich mich mit meinem allersüßesten Unschulds-Lächeln. (Das mit der Augenbraue konnte ich übrigens auch, und zwar ziemlich gut, aber ich wollte es mir für später aufheben. Mit solch beeindruckenden mimischen Kunststücken muss man sparsam umgehen, sonst büßen sie schnell ihre Wirkung ein.)
»Der Keller ist nicht düster, und wir sind keine Fremden.« Arthur klang ein wenig beleidigt, und tatsächlich schien mir der Begriff »Keller« etwas unpassend, als wir unten ankamen. Dank einer Reihe edler Decken- und Wandleuchter war es taghell, und der Boden des Flurs, der mich mit seinen vielen Türen ein bisschen an den Korridor aus meinen Träumen erinnerte, war mit luxuriösen Teppichen bedeckt.
»Na ja, die Wände hier sind wirklich dick. Niemand würde deine Schreie hören.« Henry schien es nicht lassen zu können.
Ich zuckte betont lässig mit den Schultern und zitierte diesmal laut aus dem reichen Sprichwörterschatz von Mr Wu: »Aber wenn der Drache steigen will, muss er gegen den Wind fliegen.« Außerdem kann ich Kung-Fu.
Henry lachte, und Arthur öffnete eine schwere Tür am Ende des Ganges.
»Hereinspaziert!«, sagte er mit einladender Geste und ließ mir den Vortritt.
Ich starrte beeindruckt auf ansteigend angelegte Reihen von mit rotem Samt überzogenen Kinosesseln, mindestens zehn Plätze pro Reihe, links und rechts von Treppen eingerahmt, die mit schwarzem flauschigem Teppichboden ausgelegt waren. Wahnsinn: Diese Leute hatten tatsächlich ein richtiges Kino in ihrem Keller! Als Arthur an einem Schalter neben der Tür drehte, wurde der Saal ganz sanft von unzähligen winzigen Strahlern erhellt, die wie Sterne von der mit schwarzem Stoff tapezierten Decke leuchteten.
Ein spitzer Schrei schallte durch den Raum. Unwillkürlich sah ich zu den Lautsprechern hinüber, denn der Schrei hätte auch aus »Scary Movie« stammen können, aber stattdessen tauchten in einer der letzten Sitzreihen zwei Köpfe auf. Einer männlich, distinguiert, grauhaarig; einer weiblich, mit teurer Bond-Street-Frisur, die im Moment allerdings recht derangiert aussah.
»Ach, Mrs Kelly. Und Sir Braxton. Lassen Sie sich bitte nicht stören«, sagte Arthur höflich und
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