Das erste Schwert
sehen.
|334| Cha’ori
»Wo hast du so zu reiten gelernt?«, fragte eine Cha’ori-Frau und befühlte Karas Schultern. Der gefiel dies wenig – man erkannte
es daran, wie ihre Haltung sich straffte; doch wich sie der Berührung nicht aus. Die Frau mit dem markanten, hageren Gesicht,
den langen, schwarzen Haaren und den stechend blickenden, hellen Bernsteinaugen schien unter den Cha’ori in hohem Ansehen
zu stehen.
Immer noch hielt sie das gerettete Kind fest mit den Armen umschlossen. Es war ein Mädchen – zu Skips Überraschung; sie trug
staubige braune Hosen wie ein Junge, doch an den dünnen Ärmchen klimperten unzählige Armreifen. Die Kleine schmiegte das Gesicht
an die Schulter ihrer Mutter und warf Kara von Zeit zu Zeit unter einem Schleier buschiger Haare hervor neugierige Blicke
zu.
Mit jenen beiden und weiteren etwa zwanzig Cha’ori-Männern und Frauen saß Kara in einem weiten Kreis auf dem Boden. Sämtliche
Stammesangehörige, bis auf diejenigen, die sich um die Lastpferde zu kümmern hatten, drängten sich um sie herum; auch sie
kauerten am Boden: gespannt vorgebeugt, sodass ihnen auch nur ja kein Wort entging, das in der großen Runde gesprochen wurde.
Kara saß auf dem Ehrenplatz zwischen jener Frau, deren Tochter sie gerettet hatte, und einem älteren Krieger von muskulöser
Gestalt; seine hüftlange Haarmähne wurde bereits von grauen Strähnen durchzogen, die sonnenverbrannte Haut spannte sich straff
und trocken wie Pergament über hoch angesetzte Wangenknochen. Aus schräg gestellten, dunklen Augen heraus beobachtete er Kara
voller Argwohn.
Erle, Ellah und Skip saßen weit abseits von dieser Versammlung. In Skips Ohren rauschte vor lauter Aufregung |335| immer noch ungestüm das Blut, wie ein hohler Stein kam ihm sein Kopf vor. Als er unvermittelt eine Bewegung wahrnahm, links
von sich, schrak er bis ins Mark zusammen. Doch es erfolgte kein Angriff, natürlich nicht. Eine Cha’ori-Frau, die ganz aus
Sehnen und Muskeln zu bestehen schien und eher wie ein Mann aussah, reichte ihm einen flachen Trinkschlauch, der ihn ganz
verdächtig an gegerbte Pferdehaut erinnerte. Skip wollte ihn bereits an Erle weitergeben – da bemerkte er das intensive Starren
der Frau und hielt inne. Plötzlich meinte er zu wissen, dass es nicht gut war, diese Person gegen sich aufzubringen; gar nicht
gut. In dieser Gewissheit zwang er sich, ein vorsichtiges Schlückchen zu trinken.
Was immer in der Pferdehaut schwappte und gluckste, es schmeckte wie Feuer. Ein Hustenanfall schüttelte Skip, und er war kaum
imstande, das Ganze ohne zu würgen hinabzuschlucken. Jeder in seiner Nachbarschaft lachte, aber ein einziger Blick der neben
Kara sitzenden Frau zwang sie alle wieder zur Stille.
»Ich bin Dagmara«, sagte die Frau neben Kara jetzt. Sie sprach nicht laut, aber mit befehlsgewohnter Klarheit, sodass sie
weithin zu verstehen war. »Und jener dort ist Khamal, mein Krieger-Herzältester.« Sie deutete in Richtung des grauhaarigen
Mannes auf Karas anderer Seite.
Kara nickte, als sage ihr dieser befremdliche Titel etwas.
»Und hier in meinem Arm«, fuhr die Frau fort und strich dem in ihre Arme gekuschelten Mädchen zärtlich über den Kopf, »siehst
du meine unausstehliche Tochter Chaille. Ich danke dir, Fremde – dafür, dass du sie gerettet hast. Sie ist ungebärdig und
wild, aber auch mein einziges lebendes Kind, und ihr Vater, der Krieger-Herzälteste jener Tage, trat schon vor der Zeit seinem
Tod gegenüber und folgte ihm ins Sein-Danach.«
»Ich bin froh, dass ich nützlich sein konnte, Dagmara«, entgegnete Kara feierlich. Es entging Skips Aufmerksamkeit |336| nicht, wie untypisch respektvoll sie die Cha’ori-Frau behandelte. Er fragte sich nach dem Warum.
»Nun sag’ mir, Mädchen aus Shayil Yara, warum bist du mit diesen drei Waldern unterwegs? Jene sind Erdkinder, die nach allem,
was wir von ihnen wissen, ihre Wälder niemals verlassen.«
»Ich komme nicht aus Shayil Yara«, stellte Kara richtig. »Vielmehr bin ich im Norden geboren und aufgewachsen. Und was die
Walder anbelangt, warum lässt du sie nicht für sich selbst sprechen?«
Ein Raunen durchlief die Reihen der Cha’ori ringsumher. Also waren sie es ganz offenbar nicht gewohnt, dass eine Frage Dagmaras
mit einer Gegenfrage beantwortet wurde.
Die hellen Bernsteinaugen blickten kurz mit stiller Neugier.
»Nun gut.« Dagmara wandte sich Erle zu, da sie ihn wohl für den Maßgeblichen in
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