Das erste Schwert
Wartete. Lauschte ihrem und seinem Atem. So schnell. Wartete, bis Kara sich langsam |510| entspannte und mit einem kehligen Laut in seine Arme glitt. Ihre Lippen berührten sich.
Ein lautloser Donnerschlag zerschmetterte ihn. Es war beängstigend, überwältigend – und die pure Glückseligkeit. Alles zugleich.
Er war ein Ertrinkender, der verzweifelt nach Luft rang und stattdessen etwas unendlich viel Besseres zu kosten bekam. Gegen
Karas Blumenduft, ihren süßen, berauschenden Geschmack verblasste alles, was es sonst noch in dieser Welt wahrzunehmen gegeben
hätte. Die festen Muskeln unter ihrer Haut spannten sich zum Zerreißen an; ihr ganzer Leib bäumte sich auf und drängte sich
seinen forschenden Händen entgegen. Er suchte sich zu beherrschen, sanft zu sein, ihr Zeit zu geben, doch sie umschlang ihn
mit einer Wildheit, als hinge ihr Leben davon ab. Unmöglich, sich jetzt noch zu beherrschen; irgend etwas zurückzuhalten.
Er ergab sich – seiner Leidenschaft, seiner Erregung, seinem Verlangen, seiner
Gier
, die so sehr der ihren gleichkam.
Er wusste, er hätte sterben können – hier und jetzt, in ihrer Umarmung, erfüllt von ihrem Duft, trunken von ihrem Geschmack
überall an sich, in sich – und es wäre ihm gleich gewesen. Kein Laut des Bedauerns wäre ihm über die Lippen gekommen, denn
ihr so nahe zu sein, das war mehr, als er sich je erträumt hätte.
Und dann war es vorbei. Sie löste sich von ihm, schwer atmend. Beendete das Gefühl der Zweieinigkeit. »Nicht«, sagte sie.
Noch immer klang Karas Stimme unsicher, aber dieses Mal sah er ihr an, dass sie meinte, was sie sagte. Er ließ seine Arme
herabsinken und lehnte sich zurück, zittrig und verwirrt. Alles kam ihm seltsam verändert vor; es war noch derselbe Lastkahn,
derselbe stille, abgeschiedene Platz mittschiffs hinter den Frachtkisten an der Reling, dieselbe Nacht, in der sich nun ein
bleicher Halbmond langsam über den Horizont schob.
Und doch kam ihm alles wie in weite Fernen entrückt vor. |511| Ein Menschenalter entfernt; Welten entfernt. Er wusste: Ganz gleich, was die Zukunft auch für ihn bereithalten mochte – nach
diesen unglaublichen Momenten des Glücks konnte sein Leben nie wieder dasselbe sein wie zuvor.
»Kara –«, setzte er an.
»Nicht, Skip –« Sie streckte die Hand aus, als wolle sie ihn berühren und tat es doch im letzten Augenblick nicht; als fürchte sie, seine
Haut könnte sie versengen. »Wir können das nicht tun. Wirklich nicht.«
»Aber warum?«, fragte er und kam sich vor, als spreche er im Traum mit jemandem.
Sie wich seinem Blick nicht aus.
»Ich kann’s dir nicht sagen.« Ihre Stimme klang verzweifelt. »Es ist meine Erziehung. Meine ganze Ausbildung. Das hier war
für mich niemals vorgesehen. Ich kann nicht mit einem Mann zusammen sein. Nie. Und insbesondere nicht mit jemandem wie dir.«
»Jemandem wie mir?«, hauchte er.
Es schmerzte, sie so schicksalsergeben zu sehen, und so verloren. Es schmerzte, ihren Salzgeschmack in jeder Hautpore zu spüren,
ihr so unfasslich nahe zu sein – und sie im nächsten Moment schon wieder verloren zu haben, wiewohl sie nach wie vor lediglich
eine Handbreit voneinander entfernt saßen. Skip blinzelte, als erwache er. Was versuchte sie ihm zu sagen?
»Du bist ... bist kein –« Hilflos stockte sie. »Bist kein Olivianer – um nur einen Punkt zu nennen.«
Er kniff die Augen zusammen. Musste sich anstrengen, sie auch tatsächlich wahrzunehmen. Es stimmte. Ganz gleich, was sie füreinander
empfanden – die Kirche würde es niemals billigen. Kalter Trotz kam über ihn.
Und wenn schon!,
hörte er eine abfällige Stimme in seinem Kopf fauchen. Im Verlauf dieser ihrer Reise hatten so viele Lehren der Hochheiligen
Kirche ihren Sinn verloren. Auch die Cha’ori lebten nicht |512| nach den Gesetzen der Kirche und schienen recht zufrieden damit. Bedeuteten
ihr
denn Kirchengebote so viel?
Er starrte sie fragend an.
»Es ist nicht der einzige Grund«, flüsterte sie. »Ich kann nicht einmal damit anfangen, es dir zu erklären. Es geht einfach
nicht. Du weißt gar nichts über mich, Skip!«
Er schüttelte langsam den Kopf, mühte sich, tief und regelmäßig zu atmen. »Das ist nicht wahr«, widersprach er. »Ich weiß
eine Menge von dir. Erstens, dass du eine große Kämpferin bist. Eine geborene Waldläuferin. Die beste Reiterin, die ich je
gesehen habe. Aber damit nicht genug, bist du noch so vieles mehr. Du
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