Das Erwachen
hatte Finn das Gefühl, die Temperatur würde um zwanzig Grad sinken. Ihm wurde eiskalt. Und die Hand, die die seine hielt … sie fühlte sich an wie ein eisiges Skelett. Er wollte gerade etwas sagen, als Sara plötzlich zurückwich. Sie verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war, dann wurde auch diese Farbe von dem unheimlichen blauen Lampenlicht übertönt.
»Du wirst ihr wehtun … Du wirst ihr wehtun. Du bist gefährlich … Megan … Halte dich von Megan fern. Du wirst deiner Frau wehtun. Das Böse … es berührt dich … Du bist das Böse …«
Im ersten Moment konnte er sich nicht mehr rühren, er saß einfach nur da, wie gelähmt, und die Hellseherin schien weiter in eine Art Trancezustand zu gleiten und fuhr mit ihren Weissagungen fort.
Noch immer unfähig, sich zu bewegen, hörte er sie weiterreden. Ihre Worte klangen wie von einer Schallplatte, auf der die Nadel sprang.
»Du … böse … du wirst ihr wehtun … ich sehe Blut … rieche Blut … Böse … Finn Douglas … du bist das Böse … deine Berührung … sie wird sterben … böse, böse, böse, böse, böse …«
Die Worte schienen von ihm ebenso Besitz zu ergreifen wie der Trancezustand von der Hellseherin. Er spürte nur noch Kälte und ein wachsendes Gefühl blanken Entsetzens.
Er kämpfte dagegen an.
Wut stieg in ihm auf.
Zur Hölle mit diesem verdammten Laden. Das ist doch alles ein abgekartetes Spiel. Diese Leute wissen, dass ich und Megan uns getrennt hatten. Sie haben erfahren, dass Megan mitten in der Nacht herumgeschrien hat, und sie wollen sich nicht damit abfinden, dass es nur ein Traum war. Nein, sie sind alle davon überzeugt, dass ich ein mieser Schuft bin, der seine Frau schlägt.
Zu seiner Wut gesellte sich Entschlossenheit – er riss seine Hand los und stand auf.
Die Frau schien sofort aus ihrer Trance aufzuwachen – vielleicht, weil er beinahe den Tisch umgestoßen hätte. Sie sprang ebenfalls auf. Ihr Blick war wieder völlig normal, und sie sah ihn an, als ob sie es selbst mit der Angst zu tun bekommen hätte.
»Das ist doch alles bodenloser Schwachsinn!«, fauchte er.
»Was?« Sara wirkte, als ob sie überhaupt nicht wüsste, wovon er redete.
»Sieh mal – ich weiß nicht, was du gehört hast oder was du denkst. Aber ich liebe meine Frau, ich würde mich eher erschießen, als ihr wehzutun.«
»Habe ich gesagt, dass du deiner Frau wehtun würdest?« Sara klang aufrichtig verblüfft.
Er riss sich zusammen. Er wollte sich nicht von diesen Leuten übertölpeln lassen.
»Du weißt doch genau, was du gesagt hast.«
»Nein, aber … Hey, wie auch immer … Ja, was ich gesagt habe, ist natürlich … es heißt ja nur, dass so etwas passieren könnte … Ach, Unsinn.« Sie schüttelte resolut den Kopf und blickte über ihn hinweg auf die Tür, als ob sie sich sehnlichst wünschte, er stünde nicht davor und würde den Ausgang blockieren. »Morwenna hätte dir aus der Hand lesen sollen, nicht ich. Es tut mir leid. Ich tauge nicht besonders viel, ich bin neu hier … Ich … Gehen wir?«
Er riss die Tür auf.
Der Geruch von Räucherwerk stieg ihm in die Nase. Es lief Musik von Enya, und aus dem Arbeitsbereich drang Licht.
Die Kälte fiel von ihm ab wie ein Mantel. Er kam sich ausgesprochen dumm vor. In dem Raum hatte er Angst bekommen, eine Heidenangst. Er, ein Mann im besten Alter und in bester Verfassung, hatte sich in einem kleinen, blau beleuchteten Kämmerchen von den albernen Worten einer kleinen Frau in Angst und Schrecken versetzen lassen.
Er drehte sich zu ihr um. »Tut mir leid, aber du solltest so etwas nicht mit deinen Klienten tun, egal, was man dir gesagt hat.«
Sie sah ihn nur an, dann trat sie, sorgfältig auf Abstand bedacht, an ihm vorbei. »Ich habe dir doch gesagt, ich bin neu hier. Ich weiß nichts über dich oder Megan, außer dass sie eine Cousine von Morwenna ist. Und ich habe dir auch gesagt, dass es mir leidtut. Ich bin nicht … egal. Du solltest dich an jemand anderen wenden.«
Sie wirkte verstörend glaubwürdig, und er kam sich wie ein Vollidiot vor. Er knirschte mit den Zähnen, entschlossen, sich zu beruhigen, um sie nicht zu der Annahme zu verleiten, er protestiere deshalb so heftig, weil er etwas zu verbergen habe.
»Ich glaube nicht an Handleserei«, sagte er schroff.
»Na, dann ist es ja gut. Gut für dich.«
Die Tür gegenüber ging auf. Megan trat heraus und lachte über eine Bemerkung ihrer Cousine.
»Das ist ja perfektes Timing«, meinte Morwenna
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