Das Erwachen: Dunkle Götter 1
jüngeren Kinder des Herzogs, saßen mir gegenüber. Vater Tonnsdale, der Kaplan der Burg, fand seinen Sitz am unteren Ende. Dies war das erste Mal überhaupt, dass ich am Herrschaftstisch saß. Das Gefühl, nicht dorthin zu gehören, konnte ich einfach nicht abschütteln.
Das leise Tischgespräch drehte sich ausschließlich um die Ankunft der Gäste am nächsten Tag. Glücklicherweise erwartete niemand von mir, meine Meinung beizusteuern, denn dies alles ging weit über meinen Horizont. Allerdings spitzte ich die Ohren und erfuhr von einigen Dingen. Anscheinend verfolgten die Ereignisse der kommenden Woche vor allem den Zweck, Marcus und in geringerem Maße auch seine Geschwister mit anderen vornehmen Sprösslingen ihres Alters bekannt zu machen. Die Sitze der Adelshäuser waren weit voneinander entfernt, und jeder Fürst veranstaltete solche Treffen, damit der Nachwuchs Freunde finden konnte. Diese Freundschaften sollten später im Leben in der Politik nützlich sein, ganz zu schweigen von der Aussicht, einen Ehegatten zu finden. Natürlich sprach es niemand offen aus, aber ich lerne gewöhnlich recht schnell und konnte also die Hintergedanken rasch erfassen.
Alles verlief gut, wir hatten die Suppe gelöffelt, und ich hatte den zweiten Gang fast aufgegessen – es war ein köstliches Gericht mit Fisch und Pastinaken –, da beugte sich Vater Tonnsdale vor. Er ließ sich über die unbefriedigenden heidnischen Religionen aus, denen manche Adelshäuser noch anhingen, als sich sein Gewand ein wenig öffnete und darunter sein Anhänger mit dem silbernen Stern zum Vorschein kam. Ganz im Gegensatz zu der letzten Gelegenheit, bei der ich ihn gesehen hatte, verströmte er jetzt einen weichen goldenen Schein. Überrascht schluckte und hustete ich und beförderte mir auf diese Weise ein Bröckchen Pastinake in die Nase. Sie war mit Meerrettich gewürzt und brannte so, dass mir die Tränen aus den Augen quollen. Beinahe hätte ich den Bissen wieder ausgespuckt.
Marc klopfte mir auf den Rücken, während ich meine Fassung wiedergewann. Vater Tonnsdale wandte sich an mich. »Alles in Ordnung, Master Eldridge?«
»Ja, Vater. Eure Halskette hat mich überrascht. Ich habe noch nie bemerkt, dass sie so glüht.« Kaum dass die Worte meinen Mund verlassen hatten, wusste ich schon, dass ich zu viel gesagt hatte.
»Wie ungewöhnlich! Ich habe davon gehört, dass manche Menschen das Licht erkennen können, das unsere Herrin uns schenkt, aber das ist eine äußerst seltene Gabe. Du hast nicht zufällig den Magierblick, Master Eldridge?« Er starrte mich aufmerksam an.
An dieser Stelle schaltete sich Marcs jüngere Schwester Ariadne ein. »Seid nicht so albern, Vater. Wir kennen Mort seit Jahren. Er hat noch nie zu erkennen gegeben, dass er den Magierblick besitzt.« Die Herzogin funkelte ihre Tochter bedeutungsvoll an, nachdem diese bei Tisch meinen Spitznamen benutzt hatte.
Marc unterbrach, ehe der Geistliche antworten konnte. »Vater Tonnsdale, ich wollte Euch ohnehin schon danach fragen. In der letzten Woche hat Mordecai solche Dinge gesehen wie etwa die Schutzzauber der Burg.« Wie schön, jetzt hatte er es allen am Herrentisch verraten! Wenigstens hatte er den Zwischenfall mit dem Pferd nicht erwähnt. Wahrscheinlich wollte er seinem Vater verschweigen, dass dieser beinahe seine kostbare Zuchtstute verloren hätte.
»Wie alt bist du, Mordecai?«, fragte mich darauf der Priester.
»Sechzehn Jahre, Sir, und ich werde in diesem Monat siebzehn.«
»Das ist seltsam, denn in den meisten Fällen tritt der Magierblick mit zwölf oder spätestens mit dreizehn Jahren auf, also in der stürmischen Reifezeit der Jugend. Er ist ohnehin sehr selten, aber bei den paar Dutzend Fällen, die mir bekannt sind, geschah es niemals später als in diesem Alter.«
»Ich bin sicher, dass es nur eine vorübergehende Phase ist, Vater.« Allmählich wünschte ich mir, mich unsichtbar machen zu können.
»Das bezweifle ich. Vielleicht solltest du über eine Laufbahn im Dienst der Kirche nachdenken. Eine Gabe wie die deine besitzt einen großen Wert und sollte im Dienst unserer Herrin eingesetzt werden, um späterhin Anklagen wegen Hexerei und Zauberei zu entgehen.«
Endlich rettete mich die Herzogin. »Lasst doch den Burschen das Essen genießen, Vater. Mit diesem Gerede über Hexerei erschreckt Ihr ihn nur. Außerdem – das ist doch nicht das richtige Gesprächsthema für ein Abendessen.« Lord Thornbear grunzte zustimmend, und das Tischgespräch
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