Das Erwachen: Dunkle Götter 1
Leder gebundene Bücher. Die beiden ersten waren mehr als eine Handspanne groß und so dick wie zwei Daumen übereinander. Das dritte war riesig, über zwei Handspannen und eine Handbreit hoch. Es war mit glühenden Symbolen bedeckt, ich konnte jedoch nur den Titel lesen: Lycianische Sprachlehre . Die beiden anderen waren unbeschriftet.
Marc wollte schon danach greifen, aber ich legte ihm eine Hand auf den Arm. Er sah mich an und zog die Hand zurück. Vorsichtig griff ich zu und holte die beiden kleineren Bände hervor. Da sie nicht glühten, nahm ich an, man könne sie gefahrlos berühren. Das größere Buch ließ ich liegen.
»Ist es mit einem Zauber gesichert?«, fragte Marc.
»Es ist voller Zauber und glüht wie ein Freudenfeuer.« Nach kurzem Überlegen schlossen wir die Vertäfelung und ließen das große Buch in Ruhe. Hoffentlich konnte ich genug lernen, um es später noch durchzublättern. Es war schon spät, weshalb wir uns entschieden, für diesen Abend aufzuhören. Die beiden kleineren Bücher nahm ich mit auf mein Zimmer.
»Versprich mir, dass du sie nicht ohne mich liest«, verlangte Marc ernst. »Wenn dir beim Lesen etwas passiert, sollte jemand in der Nähe sein, der dich wegziehen oder das Feuer löschen kann.«
Ich sah ihm in die Augen und versuchte, ernst zu bleiben. »Keine Sorge, ich kann warten.« Mir gingen eine Menge neunmalkluge Kommentare durch den Sinn, doch ausnahmsweise war ich so schlau, sie für mich zu behalten.
Sobald ich mich in meinem Zimmer gemütlich niedergelassen hatte, untersuchte ich die Bücher. Anfangs hatte ich sogar beabsichtigt, mein Versprechen zu halten, aber die Neugierde wurde dann doch zu stark. Da nach dem Öffnen der Einbände nichts weiter passierte, beschloss ich, einfach weiterzublättern. Das erste Buch entpuppte sich als Tagebuch, das Vestrius selbst verfasst hatte. Das zweite war anscheinend eine Sammlung von Zaubersprüchen, überwiegend in geläufiger Sprache verfasst, aber hin und wieder doch von glühenden Worten und Symbolen durchsetzt, mit denen ich keinerlei Erfahrung hatte. Außerdem enthielt es eine Menge Zeichnungen. Sobald ich die glühenden Abschnitte bemerkte, legte ich es vorsichtshalber weg und nahm mir das Tagebuch vor.
Diese Entscheidung stellte sich bald als eine richtige heraus. Im Gegensatz zu den meisten anderen Tagebüchern, in denen die Menschen einfach nur ihre alltäglichen Gedanken notieren, handelte es sich bei diesem hier eher um ein Labortagebuch. Vestrius hatte als junger Mann bei einem Magier namens Grummond gelernt. Seine erste Aufgabe war das Führen des Tagebuchs gewesen, um nicht zu vergessen, was er jeden Tag lernte. In diesem Augenblick konnte ich mir nichts Nützlicheres vorstellen und begann zu lesen.
Vestrius’ erste Tage als Zauberlehrling waren für mich sehr aufschlussreich. Rasch begriff ich, welchem Zweck das dritte Buch diente. Die Lycianische Sprachlehre war genau das, was der Name sagte: ein Buch über die Grammatik und das Vokabular der schon lange ausgestorbenen lycianischen Sprache. Außerdem entnahm ich dem Tagebuch, warum das Lehrbuch glühte. Zauberer lernen, die gesprochene und geschriebene Sprache zu benutzen, um ihre Macht auszuüben. Da es aber äußerst gefährlich wäre, die eigene Sprache zu verwenden, greift man auf eine tote Sprache zurück. Daher war das Lycianische schon seit Jahrhunderten gewissermaßen die Amtssprache der Magie und wurde nur aus diesem Grund weiter gepflegt. Da diese Sprache schon so lange in Gebrauch war, bargen auch die aufgeschriebenen Wörter einen gewissen Grundbestand an magischer Kraft und konnten sich deshalb, wenngleich in geringem Maße, sogar in den Händen derjenigen als gefährlich erweisen, die keinerlei magische Gaben besaßen.
Ich beschloss, das dritte Buch am folgenden Tag zu holen. Wenn ich Vestrius’ Tagebuch lesen und wirklich verstehen wollte, musste ich gleichzeitig die Sprachlehre studieren.
Das zweite Charakteristikum ist die sogenannte »Ausstrahlung« und bezieht sich auf die Fähigkeit eines Menschen, eine gegebene Menge an Aythar möglichst schnell zu kanalisieren oder zu benutzen. Im Gegensatz zur Kapazität ist die Ausstrahlung keine gemeinsame Eigenschaft aller Menschenwesen. Manche Personen, besonders diejenigen, die man gemeinhin »Stoiker« nennt, besitzen überhaupt keine Ausstrahlung und sind deshalb völlig außerstande, die Magie auf irgendeine Weise zu nutzen, zu spüren oder zu lenken. Glücklicherweise sind diese Menschen
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