Das Eulenhaus
er ziemlich gelitten, aber er hatte keinen Zweifel, dass er die klügste Richtung eingeschlagen hatte. Er war nach London zurückgekehrt, hatte mit Radley gearbeitet und ein Jahr später Gerda geheiratet. Gerda war in jeder Beziehung so anders als Veronica wie irgend möglich…
Die Tür ging auf, Beryl Collins, die Sprechstundenhilfe, erschien. »Sie haben noch den Termin mit Mrs Forrester.«
»Ich weiß«, sagte er knapp.
»Ich dachte, Sie hätten’s vielleicht vergessen.«
Sie ging quer durchs Sprechzimmer und zur anderen Tür hinaus. Christow folgte ihrem geordneten Rückzug mit den Augen. Nicht gerade eine Schönheit, dachte er, aber verdammt tüchtig. Seit sechs Jahren war Beryl bei ihm. Sie hatte nie einen Fehler gemacht und war durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Ihre Haare waren schwarz, ihre Haut unrein, ihr Kinn resolut. Ihre hellgrauen Augen hinter der dicken Brille taxierten ihn wie den Rest der Welt mit ein und derselben leidenschaftslosen Aufmerksamkeit.
Eine unscheinbare Sprechstundenhilfe, mit der nicht zu spaßen war, hatte er gewollt, und eine unscheinbare Sprechstundenhilfe, mit der nicht zu spaßen ist, hatte er bekommen, trotzdem fühlte er sich paradoxerweise manchmal gekränkt! Nach allen Regeln der Kunst hätte Beryl ihrem Arbeitgeber hoffnungslos ergeben sein müssen. Aber er hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, bei ihr keinen Eindruck schinden zu können. Beryl zeigte weder Hingabe noch Selbstverleugnung – sie hielt ihn unverkennbar bloß für ein fehlbares Menschlein. Sie ließ sich weder von seiner Persönlichkeit beeindrucken noch von seinem Charme beeinflussen. Manchmal bezweifelte er sogar, dass sie ihn überhaupt mochte.
Einmal hatte er ein Telefongespräch von ihr mit angehört: »Nein«, sagte sie gerade, »selbstsüchtiger als vorher ist er eigentlich nicht – vielleicht gedankenloser, rücksichtsloser.«
Er hatte sofort gewusst, dass die Rede von ihm war, und sich die nächsten vierundzwanzig Stunden darüber geärgert.
Gerdas bedingungslose Begeisterung für ihn war ihm zwar wirklich lästig, aber genauso wenig passte es ihm, von Beryl so kühl eingeschätzt zu werden. Ich glaube, mir geht bald alles auf die Nerven, grübelte er…
Da stimmt doch was nicht. Ist das Überarbeitung? Vielleicht. Nein, das war bloß eine Ausrede. Diese zunehmende Ungeduld und diese gereizte Müdigkeit hatten eine tiefere Bedeutung. So geht das nicht, dachte er. Das kann nicht so weitergehen. Was ist denn mit mir los? Vielleicht, wenn ich woanders hin…
Da war er wieder – der unausgesprochene Gedanke, der emporschoss und auf die schon formulierte Idee zu flüchten traf.
Ich will nachhause…
Verdammt noch mal, Harley Street Nr. 404 war sein Zuhause!
Und im Wartezimmer saß noch Mrs Forrester. Eine verdrießliche Frau, die zu viel Geld und zu viel Zeit zum Grübeln über all ihre Zipperlein hatte.
Irgendjemand hatte mal gesagt: »Mensch, du musst doch die Nase voll haben von all diesen reichen eingebildeten Kranken. Sich um die Armen zu kümmern, die bloß kommen, wenn sie wirklich was haben, ist doch bestimmt viel befriedigender!« Er hatte grinsen müssen. Die Leute hatten komische Vorstellungen vom »Armeleutedasein«. Die hätten die alte Mrs Pearstock mal sehen sollen – aktiv in fünf verschiedenen Krankenhäusern, einmal die Woche mindestens, und was die alles abschleppte – Tropfen in Fläschchen, Einreibezeugs für den Rücken, etwas zum Hustenlösen, zum Abführen, zum Verdauen. »Ich hab doch aber die braune Mehzien jetz vierzehn Jahre, Herr Dockter, is doch das einzige, was hilft. Aber der junge Dockter letzte Woche schreibt mir ne weiße Mehzien auf! Ich mein, ich hab die braune doch jetzt vierzehn Jahr, und wenn ich mein Para-Paraff-Dings nich krieg und die braunen Pillen…«
Er konnte ihr Gegreine förmlich hören. Dabei hatte sie eine fabelhafte Konstitution und war so kerngesund, dass ihr nicht einmal ein solcher Medikamentencocktail etwas ausmachte!
Sie waren Schwestern im Geiste, diese Mrs Pearstock aus der Tottenham Road und diese Mrs Forrester aus dem Park Lane Court. Man hörte ihnen zu, man bekritzelte steife, teure Notizblöckchen oder Krankenhausformulare, je nachdem…
Gott, wie satt er das alles hatte…
Blattes Meer, schwacher Mimosenduft, heißer Staub…
Fünfzehn Jahre war das her. Und es war vorbei und erledigt – ja, erledigt, dem Himmel sei Dank. Er hatte den Mut gehabt, das alles abzubrechen.
Mut?, stichelte ein kleiner Kobold
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