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Das Eulenhaus

Das Eulenhaus

Titel: Das Eulenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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irgendwo in ihm. Das soll Mut sein?
    Na, er hatte ja wohl das Vernünftigste getan, oder? Es war doch eine Qual gewesen. Verdammt und zugenäht, es hatte höllisch wehgetan! Aber er hatte es durchgestanden, abgebrochen und war nachhause zurückgefahren, wo er Gerda geheiratet hatte.
    Er hatte eine Sprechstundenhilfe, die keine Schönheit war, und er hatte eine Frau, die keine Schönheit war. Und das hatte er doch wohl gewollt, oder? Von Schönheit hatte er doch genug gehabt, oder? Er hatte doch mit angesehen, was jemand wie Veronica anderen mit ihrer Schönheit antun konnte – er hatte gesehen, wie die wirkte, auf jeden Mann im Umkreis. Nach Veronica war ihm Sicherheit lieber gewesen. Sicherheit und Frieden und Hingabe und all die leisen, beständigen Dinge des Lebens. Doch, ja, er hatte Gerda gewollt! Er hatte sich eine Frau gewünscht, die ihre Lebensvorstellungen von ihm bezog, die ihn die Entscheidungen treffen ließ und die nicht eine Sekunde lang ihren eigenen Kopf hatte…
    Von wem war noch der Spruch, dass die wahre Tragödie im L e ben ist, wenn man kriegt, was man will?
    Zornig drückte er auf die Klingel auf seinem Tisch.
    Dann wollen wir uns mal mit Mrs Forrester beschäftigen.
    Die Beschäftigung mit Mrs Forrester dauerte eine Viertelstunde. Wieder war es leicht verdientes Geld. Wieder hörte er zu, fragte nach, beruhigte, fühlte mit und gab etwas von seiner Heilkraft weiter. Wieder schrieb er ein Rezept für irgendein teures Medikament.
    Die krankhaft neurotische Patientin war schleppend in sein Sprechzimmer gekommen und mit viel festerem Schritt hinausgegangen. Sie hatte wieder Farbe im Gesicht und das Gefühl, dass sich das Leben womöglich doch lohnte.
    John Christow ließ sich in seinem Sessel nach hinten sinken. Jetzt war er frei – frei, nach oben zu Gerda und den Kindern zu gehen. Befreit für ein Wochenende von der ständigen Beschäftigung mit Krankheit und Leid.
    Aber er verspürte noch immer eine seltsame Abneigung, sich zu rühren, diese neue unnormale Willensträgheit.
    Er war müde. Müde. Müde.

4
     
    I m Esszimmer, das genau über dem Sprechzimmer lag, saß Gerda Christow am Tisch und starrte auf eine Lammkeule.
    Sollte sie sie zum Warmhalten in die Küche zurückschicken oder lieber nicht?
    Wenn es noch lange dauerte, bis John kam, würde sie kalt und zäh werden, und das wäre fürchterlich.
    Andererseits war die letzte Patientin jetzt weg. John war bestimmt gleich oben, und wenn sie das Essen zurückgeschickt hätte, würde es dauern – und John war doch so ungeduldig. »Aber du hast doch genau gewusst, dass ich gleich da bin…«, würde er sagen, mit diesem Unterton unterdrückter Empörung, den sie hasste und fürchtete. Außerdem wäre die Keule dann zerkocht und trocken – und John hasste zerkochtes Essen.
    Und wiederum andererseits mochte er kaltes Essen erst recht nicht. Jedenfalls war die Servierplatte schön vorgewärmt.
    Sie überlegte hin und her und fühlte sich immer elender und ängstlicher.
    Ihre ganze Welt war zusammengeschnurrt zu einer Lammkeule, die auf ihrer Platte kalt wurde.
    Am anderen Ende des Tischs saß Terence, ihr zwölfjähriger Sohn, und erzählte: »Borsaure Salze brennen mit einer grünen Flamme und Natriumsalze mit einer gelben.«
    Gerda sah zerstreut in sein sommersprossiges, viereckiges Gesicht. Sie hatte keine Ahnung, wovon er redete.
    »Hast du das gewusst, Mutter?«
    »Gewusst – was?«
    »Das mit den Salzen.«
    Gerdas Blick wanderte zerstreut zum Salzstreuer. Ja, Salz und Pfeffer standen auf dem Tisch. Alles in Ordnung. Letzte Woche hatte Miss Lewis die nämlich vergessen, und John hatte sich sehr geärgert. Immer war irgendetwas…
    »Ist eins von unseren chemischen Experimenten«, erzählte Terence verträumt weiter. »Hochinteressant, finde ich.«
    Die neunjährige Zena mit dem hübschen ausdruckslosen Gesicht greinte dazwischen: »Ich will mein Essen. Können wir nicht schon anfangen, Mutter?«
    »Noch ein Minütchen, Kleines, wir warten noch auf Vater.«
    »Wir könnten aber ruhig anfangen«, sagte Terence, »Vater macht das nichts aus. Der isst doch selber ganz schnell.«
    Gerda schüttelte den Kopf.
    Aber vielleicht schon mal anschneiden? Auch wenn sie nie wusste, auf welcher Seite man an einer Lammkeule das Tranchiermesser ansetzt? Ach so, natürlich, Miss Lewis hatte die vielleicht schon richtig herum aufgetragen – andererseits, manchmal tat sie das auch nicht, und John ärgerte sich immer so maßlos, wenn man den Braten falsch

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