Das Exil Der Königin: Roman
kehrte dann zu seinem Gesicht zurück. »Wenn das so ist, können wir nur hoffen, dass sie sie nicht finden.«
»Du bist Abelard«, warf Han plötzlich ein und hoffte, dass Crow so überrascht war, dass er sich verriet. »Nicht wahr?«
Das war seine neueste Theorie, und sie klang auch einleuchtend. Abelard gehörte zur Fakultät; sie war verdammt gelehrt, und sie stellte sich den Bayars entgegen. Abgesehen davon würde sie andere nicht wissen lassen wollen, dass sie an Han Alister besonderes Interesse hatte. Auf diese Weise konnte sie ihn jederzeit loslegen lassen, ohne riskieren zu müssen, dass er sie verriet.
Crow konnte aufbrausend sein, einschüchternd, aufgeblasen und ungeduldig. Wie Abelard.
Oder wie Gryphon, dachte Han und schwankte wieder. Crow war auch bitter und sarkastisch – genau wie Gryphon.
Crows ausdruckslose Miene blieb unverändert. »Ich begreife nicht, wieso es für dich so wichtig ist zu wissen, wer ich bin.« Er verdrehte die Augen. »Die Zauber sind doch echt, oder nicht? Sie funktionieren doch.«
»Ja.« Han nickte. »Sie funktionieren.« Das stimmte. Crows Beschwörungen funktionierten sogar sehr gut, in Aediion und auch außerhalb davon. So gut, dass Hans Lehrer verblüfft über seine schnellen Fortschritte waren.
»Wenn ich errate, wer du bist, wirst du es mir dann sagen?«, fragte Han.
Crow lächelte. Er konnte charmant sein, wenn er wollte. »Du bist unerbittlich, Alister. Das gefällt mir an dir.«
Abelard, dachte Han wieder. »Was soll das überhaupt für ein Name sein – Crow. Noch dazu für einen Blaublütigen?«, fragte er.
»Du weißt, wie Krähen sind«, erklärte Crow, und sein Lächeln verschwand. »Sie picken das Fleisch von den Toten.« Er senkte den Kopf, als würde er sich in seinen Gedanken verlieren. Das durch das Fenster einfallende Licht glänzte auf seinen Haaren.
Was haben sie dir angetan, Crow?, fragte Han sich. War es möglicherweise noch schlimmer als das, was sie mir angetan haben?
Crow mochte verbittert sein, aber er war auch hochkonzentriert, entschlossen, beharrlich und brillant, er war ehrgeizig, sorgfältig und besaß ungeheuer viel Wissen.
Manchmal kroch Crow, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen, einfach in Hans Kopf, um irgendeine schwierige Beschwörung zu demonstrieren. Er tat es häufig, wenn Han fast keine Macht mehr übrig hatte. Das mochte für Crow praktisch und zweckdienlich sein, aber es hinterließ bei Han das Gefühl, dass jemand in ihn eingedrungen war.
Manchmal hatte Han nach ihren Sitzungen das Gefühl, als hätte er mit Batiskraut versetzten Apfelwein getrunken. Es gab riesige Löcher in seinem Gedächtnis – Zeit war vergangen, für die er keine Erklärung hatte. Er kam sich vor, als wäre sein Geist erst niedergetrampelt und dann neu geformt worden.
Ich muss herausfinden, wie ich ihn aus meinem Kopf fernhalten kann, beschloss Han. Aber es war unwahrscheinlich, dass Crow ihm diesen Trick verraten würde.
Sie trafen sich immer am gleichen Ort – im Glockenturm von Mystwerk House. Dancer hatte die ersten paar Male für Han Wache gehalten, aber dann hatte Han ihn verscheucht. Dancer musste sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Er konnte nicht jede Nacht aufbleiben, um Händchen zu halten.
Han hatte einen neuen Unterschlupf zwischen den staubigen Regalen hoch oben in der Bayar-Bibliothek gefunden, wo Texte und Berichte aufbewahrt wurden, die so alt und kryptisch waren, dass niemand sie jemals benutzte. Er richtete sich heimlich ein Hinterzimmer mit einer Pritsche und einem Tisch aus einem der unteren Stockwerke ein. Es war leichter, hierhin zu gelangen als zum Mystwerk-Turm, und er musste sich auch keine Sorgen machen, dass irgendwelche Glöckner über die Hülle seines geistlosen Körpers stolperten. Es erheiterte ihn, einen Teil der Bayar-Bibliothek auf diese Weise für sich zu beanspruchen.
Drei oder vier Nächte pro Woche zog Han sich in sein Versteck zurück, ging nach Aediion und arbeitete verbissen, bis sein Amulett völlig leer war.
Das Problem daran war, dass er auch tagsüber für den Unterricht Macht brauchte. Deshalb musste er jedes Mal versuchen, sein Zauberstück in der Zeit zwischen den nächtlichen Sitzungen und dem Unterrichtsbeginn wieder aufzufüllen. Gryphon ließ natürlich keine Gelegenheit aus, um sich über ihn lustig zu machen, wenn sein leeres Amulett den Dienst versagte.
Crow schien dagegen unbegrenzte Energie zu haben. Natürlich – Han erledigte ja auch alle Arbeit.
Morgens wachte
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