Das Exil Der Königin: Roman
nicht zu reparieren. Hör mir einfach nur zu. Die Königin ist verantwortlich für die öffentlichen Bauarbeiten, richtig? Für die Wasserversorgung und so weiter. Nun, die Qualität der Brunnen in Ragmarket ist immer schlechter geworden, und meine Schwester Mari hat sich das Fieber geholt. Während ich unterwegs war, um Geld für die Medizin zu beschaffen, die sie brauchte, sind die Blaujacken gekommen und haben nach mir gesucht, weil sie glaubten, dass ich derjenige wäre, der die Southies getötet hat. Als sie mich dort nicht gefunden haben, haben sie den Stall angezündet. Mit ihnen drin.«
»Was?«, flüsterte Rebecca, deren Gesicht jetzt aschfahl geworden war.
»Sie sind verbrannt, Rebecca«, sagte Han mit leiser und scharfer Stimme. »Und die Blaujacken haben es auf Befehl der Königin getan. Mari war sieben Jahre alt.«
Sie starrte ihn an und schüttelte den Kopf. »Oh, nein«, flüsterte sie. »Nein. Das kann nicht wahr sein.« Ihr Mund formte das Nein selbst dann noch, als sie keinen Ton mehr herausbrachte.
»Du hast selbst gesagt, dass die Königin die Entscheidungen trifft.« Han wusste, dass er aufhören sollte, aber er hatte das alles so lange in seinem Herzen vergraben, dass es jetzt war, als hätten sich sämtliche Schleusen geöffnet. »Danach ist jemand zurückgekommen und hat die Ragger und die Southies ermordet. Einige von ihnen waren noch Lýtlings . Die, die du aus dem Wachhaus in Southbridge gerettet hast – sie sind alle tot.«
Tränen sammelten sich in Rebeccas Augen. »Dann … dann sind Sarie und Velvet und Flinn also …«
»Alle tot, so weit ich weiß. Cat ist die Einzige, die entkommen ist.«
»Dann war alles umsonst?« Rebeccas Stimme schwankte. »Wieso hast du mir das nicht gesagt? Das mit deiner Familie und … so weiter …?«
»Du hast mich nie gefragt«, antwortete Han. »Und in Ragmarket und Southbridge sterben jeden Tag Leute. Sie zählen in der Welt der Blaublütigen nicht. Meine ist also nur eine von vielen traurigen Geschichten.«
»Aber … wir sind nicht alle so«, stammelte Rebecca. Ihre Unterlippe zitterte.
»Natürlich nicht.« Er schnaubte. »Ihre verfluchte Hoheit, die Erbprinzessin, wirft ihr Taschengeld in unsere Richtung, und wir sollen dafür auf die Knie fallen und ihr danken.«
»Das ist nicht das, was sie will«, flüsterte Rebbeca. Sie wirkte völlig schockiert. »Sie will dafür keine Dankbarkeit. Sie will nur …«
»Es war klar, dass du sie verteidigen würdest«, unterbrach Han sie. »Blaublütige halten immer zusammen.«
Diesmal versuchte Rebecca erst gar nicht zu antworten. Sie saß da, drehte an einem Goldring an ihrem Zeigefinger herum und starrte geradeaus. Ihr Gesicht war so weiß wie ein Blatt Papier.
Während sich das Schweigen zwischen ihnen ausbreitete, krochen Schuldgefühle in Han hoch. Natürlich musste sie sie verteidigen. Sie war am Hof aufgewachsen, und ihre Freunde waren Blaublütige. Sie war nicht der Feind.
»Hör zu, es tut mir leid«, sagte Han. »Ich wollte dich nicht so heruntermachen. Du magst eine Blaublütige sein, aber du bist nicht schuld an dem, was passiert ist.« Er legte seine Hand auf ihre.
Doch nichts von dem, was er sagte, schien dazu beizutragen, dass es ihr irgendwie besser ging.
Es war nicht ihr Fehler, dass sein Leben eine Katastrophe war. Er versuchte herauszufinden, wie er ihr das sagen könnte, als sie plötzlich aufstand und dabei den Stuhl so heftig zurückschob, dass er beinahe umfiel.
»Ich muss gehen.« Sie griff nach ihrer Tasche. »Bitte nimm mein … aufrichtiges … Beileid über den Verlust deiner Familie an«, sagte sie mit gepresster Stimme. »Es tut mir … so furchtbar leid.«
Sie stürzte aus der Tür, als wären Dämonen hinter ihr her, und ließ die Blumen zurück. Er hörte sie die Stufen hinunterpoltern. Und dann war Stille.
Han saß einen Moment erstarrt da. »Rebecca!«, rief er. »Warte!«
Er packte seine Bücher und Papiere zusammen und stopfte sie in seine Tasche, dann rannte er hinter ihr her die Treppe hinunter.
Als er den Schankraum erreichte, war Rebecca bereits weg. Die anderen Gäste starrten Han neugierig an. Ohne sich darum zu kümmern, lief er auf die Brückenstraße, blickte in beide Richtungen und sah, wie sie mit gesenktem Kopf zurück nach Wien House zu ihrem Wohnheim stapfte.
Er rannte hinter ihr her und wich dabei anderen Studenten und Fakultätsangehörigen aus, die durch die Straßen spazierten und das Frühlingswetter genossen.
Seine langen Beine
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