Das Exil Der Königin: Roman
mechanisch und nahm einen Löffel voll und dann noch einen. Nachdem sie einmal angefangen hatte, aß sie alles auf und trank danach den Apfelwein, bis auch der weg war.
»Du hast gesagt, dass dir etwas im Kopf herumgeht«, sagte Han, als sie ihren Löffel in die leere Schüssel zurückgelegt hatte. »Was ist es?«
Sie rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. »Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Ich habe das Gefühl, ich sollte nach Hause zurückkehren. Ich … meine Mutter braucht mich.«
»Wieso? Ist sie krank?«, fragte Han und bestellte noch Apfelwein.
»Na ja«, sagte Rebecca, »nicht richtig. Aber sie ist nicht ganz sie selbst. Und falls sie es doch sein sollte, ist sie …« Ihre Stimme versiegte, als hätte sie plötzlich begriffen, dass sie schon viel zu viel gesagt hatte.
»Also hat sie dich gebeten, nach Hause zu kommen?«
»Nein«, antwortete Rebecca. »Sie hat mir gesagt, dass ich wegbleiben soll. Aber sie denkt vielleicht nicht sehr klar. Und es ist vielleicht auch gar nicht in meinem Interesse, wegzubleiben.«
»Na ja, ich weiß nichts über deine Familie. Aber hier in Odenford zu sein – ist das nicht eine echte Chance für dich?«
Sie nickte, schob ihren leeren Becher weg und zog Hans vollen zu sich heran.
Sei lieber vorsichtig damit, dachte Han. Apfelwein ist zwar kein starkes Getränk, aber für ein Leichtgewicht wie dich …
»Gibt es sonst noch jemanden, mit dem du reden kannst, sodass du herausfindest, was los ist?«, fragte Han. »Was ist mit deinem Vater?«
»Na ja, er und meine Mutter kommen nicht immer gut miteinander klar«, erzählte sie. »Und er ist oft geschäftlich auf Reisen.«
»Irgendwelche Brüder oder Schwestern?«
»Ich habe eine Schwester. Aber ich denke, sie könnte ein Teil des Problems sein.« Rebecca machte eine Pause. »Ich habe Angst, dass ich vielleicht alles verliere, wenn ich jetzt nicht zurückkehre.«
Han runzelte verwirrt die Stirn. Dann begriff er. Familien wie die von Rebecca hatten Hinterlassenschaften. »Du meinst, sie könnten dir den Weg versperren? Dich enterben?«
Sie nickte. »Vielleicht. Es wäre eine Möglichkeit.«
Hans Instinkt sagte ihm, dass sie ihm nicht die ganze Geschichte erzählte. Es war, als würde man durch ein Schlüsselloch in einen Raum blicken, in den man gerne eintreten wollte. Man konnte etwas von dem sehen, was darin vor sich ging, aber in dem Teil, den man nicht sehen konnte, mochte eine unangenehme Überraschung auf einen warten.
»Ich weiß nicht, ob ich dir einen Rat geben kann. Und ich weiß auch nicht, was du zu verlieren hast.« Han streckte die Hand aus und spielte mit einer ihrer Haarsträhnen. »Wenn du nicht weißt, was deine Mutter will, solltest du über das nachdenken, was du willst, und den besten Weg finden, um es zu bekommen – ob es nun bedeutet, dass du hierbleibst oder zurückgehst und die Dinge mit deiner Mutter regelst.«
Rebeccas Gesicht bewölkte sich wieder. »Es geht nicht um das, was ich will. Eine Menge Leute hängen von mir ab.«
»Wieso kann es nicht um das gehen, was du willst – oder zumindest manchmal?«, fragte Han und schloss seine Hand über ihrer. »Du musst einfach nur … du musst es einfach nur in Anspruch nehmen. Ich habe gelernt, dass niemand einem einfach so was gibt. Man bekommt nicht, was man nicht verlangt.«
Sie sah auf ihre miteinander verschlungenen Hände hinunter. »Ich weiß nicht, wem ich trauen kann«, flüsterte sie.
»Vertraue mir«, sagte er und beugte sich über den Tisch und küsste sie.
Die Wahrheit war – er wollte, dass Rebecca in Odenford blieb, und das lag nicht nur daran, dass er von ihr etwas lernen konnte, was ihn sonst niemand lehrte.
Sie konnte so stachelig wie ein Igel sein, und sie war stolz und daran gewöhnt, Leute herumzukommandieren und ihren Willen zu kriegen. Sie war klug und eigensinnig und wie ein Wasserfall und konnte einem das Ohr abkauen. Aber sie war auch zutiefst gütig – sie überquerte jede Straße, um einem Bettler eine Münze zu geben, und verteidigte in einem Kampf immer den Schwächeren. Sie hatte wegen Mam und Mari Tränen vergossen – obwohl sie sie nie in ihrem Leben gesehen hatte.
Sie verlangte eine ganze Menge – aber sie verlangte von sich selbst noch mehr.
Er hielt ihre Hand immer noch in seiner und rieb mit dem Daumen über ihre Handfläche. Ihre Hände waren bemerkenswert klein, aber voller Schwielen. Hände, die keine Angst vor harter Arbeit hatten. Sie trug einen schweren Goldring an
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