Das Experiment
stapften. »Machst du Witze?« fragte er.
»Nein, überhaupt nicht«, antwortete sie. »Du hast doch auch festgestellt, was für ein seltsamer Zufall es ist, daß wir dieses Bild gefunden haben. Ich glaube nicht, daß es nur Zufall war. Überleg doch mal! Diese Entdeckung – es muß ein tieferer Grund dahinterstecken.«
»Leidest du nur vorübergehend unter abergläubischen Anwandlungen, oder bist du immer so?« wollte Edward wissen.
»Ich weiß nicht«, sinnierte Kim. »Ich versuche nur, die Dinge zu verstehen.«
»Glaubst du an außersinnliche Wahrnehmungen oder an Gedankenübertragung?« fragte Edward neugierig.
»Darüber habe ich noch nie nachgedacht«, mußte Kim gestehen. »Glaubst du daran?«
Edward mußte lachen. »Wenn du meine Fragen so geschickt an mich zurückgibst, kommst du mir vor wie eine Psychologin. Jedenfalls glaube ich nicht an übernatürliche Kräfte. Ich bin Wissenschaftler. Ich glaube an alles, was man rational beweisen und durch Experimente wiederholen kann. Ich bin weder religiös noch abergläubisch. Und wenn ich jetzt behaupte, daß die beiden letztgenannten Eigenschaften eng miteinander verbunden sind, hältst du mich wahrscheinlich für einen Zyniker.«
»Ich bin auch nicht sehr religiös«, sagte Kim. »Trotzdem kann ich mir vorstellen, daß es übernatürliche Kräfte gibt.«
Sie waren am alten Haus angekommen. Kim hielt Edward dieTür auf, damit er das Gemälde in den Salon tragen konnte. Als er es über den Kamin hielt, bestätigte sich seine Vermutung: Es paßte genau in den vom Rauch gezeichneten Rahmen.
»Jetzt wissen wir zumindest, daß das Bild einmal hier gehangen hat«, stellte Edward fest und ließ es auf dem Kaminsims stehen.
»Und ich werde dafür sorgen, daß es bald wieder seinen angestammten Platz einnehmen kann«, bemerkte Kim. »Elizabeth hat es verdient, wieder in ihr Haus zurückzukehren.«
»Heißt das, daß du das Haus renovieren willst?«
»Vielleicht«, erwiderte Kim. »Aber erst muß ich mit meiner Familie darüber sprechen. Vor allem mit meinem Bruder.«
»Ich finde die Idee jedenfalls hervorragend«, sagte Edward. Dann nahm er die Plastikbehälter und ging noch mal in den Keller, um die Schmutzproben zu holen. An der Tür blieb er stehen.
»Falls ich da unten wirklich Spuren von Claviceps purpurea finde«, sagte er mit einem trockenen Lächeln, »dann dürfte diese Entdeckung zumindest eines zur Folge haben: Die Geschichten über die Hexenprozesse von Salem werden endlich ihren übernatürlichen Touch verlieren.«
Kim gab keine Antwort. Sie stand vor dem Portrait Elizabeths und war tief in Gedanken versunken. Edward zuckte mit den Schultern. Dann ging er in die Küche und stieg in den dunklen, feucht-kühlen Keller hinab.
Kapitel 3
Montag, 18. Juli 1994
Wie immer herrschte in Edward Armstrongs Labor in der medizinischen Fakultät der Harvard University an der Longfellow Avenue hektisches Treiben. Inmitten futuristischer High-Tech-Instrumente liefen eine Menge Menschen in weißenKitteln hin und her. Auf einen Außenstehenden wirkte der Laborbetrieb chaotisch, doch jeder Insider wußte, daß an diesem Ort kontinuierlich gearbeitet wurde.
Obwohl neben Edward auch andere Wissenschaftler hier arbeiteten, hatte in der letzten Zeit alles an ihm gehangen; längst hatten seine Kollegen das Labor liebevoll »Armstrongs Imperium« getauft. In der Welt der Wissenschaft hielt man ihn für ein Genie; darüber hinaus galt Edward auf dem Gebiet der synthetischen Chemie und der Neurowissenschaft als eine Koryphäe, weshalb sich die Bewerbungen um eine der wenigen Doktoranden- und Assistentenstellen bei ihm stapelten. Da seine Laborkapazitäten, sein Budget und seine eigene Zeit begrenzt waren, konnte er nicht alle einstellen; nur die besten und intelligentesten Studenten und Wissenschaftler schafften es, in Edwards Forschungsteam aufgenommen zu werden.
Die anderen Professoren hielten ihn für einen Masochisten. Er betreute nämlich nicht nur die größte Anzahl an Doktoranden; er bestand auch darauf, im Sommersemester eine Chemievorlesung für die Studenten im Grundstudium abzuhalten. Kein anderer Professor wäre jemals auf eine solche Idee gekommen. Doch Edward hielt es für seine Pflicht, die jungen Studenten so früh wie möglich für ihr Fach zu begeistern.
Edward hatte gerade eine seiner berühmten Grundvorlesungen beendet und eilte zurück in sein Allerheiligstes. Als er eine der Seitentüren zum Labor öffnete, wurde er sofort wie ein
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