Das Experiment
den Wunsch, doch sie war nicht gerade glücklich über das, was Edward da unten trieb. Es gefiel ihr überhaupt nicht, daß Elizabeths Totenruhe nun noch mehr gestört wurde. Sie stellte sich direkt an den Rand des Grabens und warf die Lampe hinunter.
Edward leuchtete mit der Taschenlampe in den offenen Sarg. »Wir haben Glück!« rief er hinauf. »Die Kälte und die Trockenheit haben die Leiche mumifiziert. Sogar das Leichentuch ist noch in Ordnung.«
»Jetzt reicht’s aber«, sagte Kim. Doch sie hätte genausogut gegen eine Wand reden können. Edward hörte ihr überhaupt nicht zu. Zu ihrem Entsetzen griff er jetzt auch noch in den Sarg hinein. »Edward! Was tust du da?«
»Ich will die Leiche ein bißchen vorziehen«, sagte er. Er umfaßte den Schädel und begann zu ziehen. Zunächst passierte nichts. Doch als er sich mit einem Fuß an der Grabenwand abstützte und kräftiger zog, löste sich plötzlich der Kopf. Edward krachte gegen die andere Seite des Grabens und landete, denmumifizierten Schädel von Elizabeth im Schoß, auf seinem Hinterteil. Von oben rieselte eine Ladung Erde auf ihn herab.
Kim bekam weiche Knie und mußte sich abwenden.
»Verdammter Mist!« fluchte Edward, während er sich wieder aufrappelte. Dann nahm er den Schädel genauer in Augenschein. »Sieht so aus, als wäre das Genick gebrochen, als sie gehängt wurde. Obwohl mich das wundert. Damals bevorzugte man eigentlich eine andere Methode; man ließ die Leute so lange am Strick baumeln, bis sie blau anliefen und schließlich erstickten.«
Edward beugte sich noch einmal hinunter, um das abgerissene Kopfstück des Sarges wieder zu befestigen. Er nahm einen Stein und schlug so lange gegen das Holz, bis es festsaß. Als er sich davon überzeugt hatte, daß alles mehr oder weniger so aussah wie vorher, ging er mit dem Schädel in der Hand wieder zu dem Punkt zurück, an dem er mühelos aus dem Graben steigen konnte.
»Das findest du ja wohl hoffentlich nicht lustig, oder?« stellte Kim ihn zur Rede, als er wieder bei ihr war. Sie weigerte sich, den Kopf aus der Nähe zu betrachten. »Ich möchte, daß du den Schädel wieder zurücklegst!«
»Natürlich«, versprach Edward. »Ich will nur eine kleine Probe nehmen. Laß uns erst mal reingehen und nachsehen, ob wir eine passende Kiste finden.«
Verzweifelt führte Kim ihn ins Haus. Wie hatte sie nur in eine solche Situation geraten können? Edward merkte, wie ihr zumute war. Deshalb griff er schnell nach einer Kiste, in der die Arbeiter Installationszubehör transportiert hatten, legte den Schädel hinein und trug sie zum Auto. Dann kam er zurück und sagte erwartungsvoll: »Okay, dann wollen wir mal deine Baustelle besichtigen.«
»Du legst den Schädel aber so schnell wie möglich wieder zurück«, sagte Kim.
»Natürlich«, sagte Edward noch einmal. Um das Thema zu wechseln, ging er in den Anbau und gab vor, die Verzierungen zu bewundern. Kim folgte ihm. Bald war sie so abgelenkt, daß sie nicht mehr an den Schädel dachte. Die Renovierungsarbeiten waren zügig vorangeschritten. Als sie in den Keller hinabstiegen, nahmen sie erfreut zur Kenntnis, daß sogar der Zement schon gegossen worden war.
»Ein Glück, daß ich die Probe schon bei unserem letzten Besuch mitgenommen habe«, stellte Edward fest.
Als sie in der ersten Etage nachsehen wollten, ob auch das kleine Bad schon eingebaut war, hörte Kim ein Auto. Sie sah durch eines der Flügelfenster und dachte im nächsten Moment, ihr Herz würde aussetzen. Vor der Tür stand ihr Vater.
»Oh, nein!« stöhnte Kim. Angst kroch in ihr hoch, und sie bekam feuchte Hände.
Ihr Unbehagen blieb Edward nicht verborgen. »Ist es dir peinlich, daß ich hier bin?« fragte er.
»Um Himmels willen, nein«, entgegnete Kim. »Ich mache mir Sorgen wegen Elizabeths Sarg. Laß dir bloß nicht anmerken, daß du den Schädel hast! Ich will meinem Vater auf keinen Fall einen Vorwand bieten, sich in die Renovierungsarbeiten einzumischen.«
Sie gingen nach unten, um ihn zu begrüßen. John stand am Rande des Grabens und betrachtete den Sarg. Kim machte die beiden Männer miteinander bekannt. Ihr Vater war zwar höflich, aber ziemlich kurz angebunden. Nach der knappen Begrüßung nahm er Kim zur Seite.
»Ein verdammt unglücklicher Zufall, daß George Harris auf das Grab von Elizabeth stoßen mußte«, stellte er fest. »Ich habe ihm gesagt, daß er die Entdeckung bloß nicht an die große Glocke hängen soll, und ich verlasse mich darauf, daß auch du
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