Das Experiment
diese Hexengeschichten beflügeln ihre Phantasie.«
»Da ist bestimmt was dran«, stimmte Kim ihm zu. »Aber ich fürchte, es steckt auch eine perverse Sensationsgier dahinter. Die Leute sind von den Hexengeschichten fasziniert, weil es Hinrichtungen gab. Und außerdem waren vor allem Frauen Opfer der Hexenhysterie. Es geht also auch um die Unterdrückung von Frauen.«
»Du machst es dir zu einfach, wenn du das Ganze nur aus dem Blickwinkel der Frauenbewegung betrachtest«, warf Edward ein. »Wahrscheinlich wurden vor allem deshalb Frauen hingerichtet, weil sie aufgrund ihrer Rolle in der kolonialen Gesellschaft viel eher Anstoß erregt haben. Im Gegensatz zu den Männern haben sie sich um alles gekümmert, was mit Geburt und Tod, mit Gesundheit und Krankheit zu tun hatte. Und das waren genau die Bereiche, in denen die Menschen damals abergläubisch waren und schnell magische Handlungen vermuteten.«
»Wahrscheinlich haben wir beide recht«, sagte Kim. »Ich stimme dir ja durchaus zu, aber es hat mich bei meiner kleinen Recherche doch schockiert, daß die Frauen zu Elizabeths Zeiten offenbar keinerlei Rechte hatten. Wenn die Männer vor irgend etwas Angst hatten, haben sie einfach die Frauen vorgeschoben. Wahrscheinlich hat auch primitiver Frauenhaß eine große Rolle gespielt.«
Endlich wurde das Hexenhaus geöffnet. Die Wartenden wurden von einer jungen Frau willkommen geheißen, die ein Kleid aus der damaligen Zeit trug. Jetzt erst registrierten Kim und Edward, daß man das Haus offenbar nur im Rahmen einer Führung besichtigen konnte. Die Gäste betraten nacheinander das Haus und warteten auf den Beginn des Vortrags.
»Ich dachte, wir könnten uns einfach mal so umsehen«, flüsterte Edward.
»Ich auch«, zischte Kim.
Die Führerin erläuterte ausführlich jeden einzelnen Einrichtungsgegenstand; besonders detailliert ging sie auf ein Bibelkästchen ein und erklärte, daß es in einem puritanischen Haushalt unverzichtbar gewesen sei.
»Ich habe keine große Lust mehr, weiter zuzuhören«, flüsterte Edward. »Wollen wir verschwinden?«
»Von mir aus«, sagte Kim.
Als sie wieder auf der Straße standen, drehte Edward sich noch einmal um und betrachtete das Haus.
»Ich wollte eigentlich nur mal sehen, ob es deinem Häuschen auch von innen so ähnlich ist«, erklärte Edward. »Es ist wirklich verblüffend. Man könnte fast meinen, die beiden Häuser sind von dem gleichen Architekten gebaut worden.«
»Wahrscheinlich war es einfach so, wie du mir neulich erklärt hast«, sagte Kim. »Individuelle Wünsche haben damals keine Rolle gespielt.«
Sie stiegen ein und fuhren hinaus zum Stewartschen Anwesen. Als erstes fiel Edward der lange Graben ins Auge, durch den die Kabel und Rohre verlegt werden sollten. Er reichte inzwischen von der Burg bis zum Cottage. Vom Rand aus konnten sie sehen, daß die Arbeiter das Fundament des Gebäudes untertunnelt hatten.
»Da drüben ist der Sarg«, sagte Kim und zeigte auf die Stelle, wo die Holzkiste aus der Erdwand hervorragte; inzwischen hatten die Arbeiter den Graben hier erheblich verbreitert.
»Was für ein Glück, daß der Bagger auf Elizabeths Grab gestoßen ist!« rief Edward. »Offenbar ist es das Kopfende des Sargs. Mit der Tiefe hattest du übrigens recht. Der Sarg liegt mindestens zweieinhalb Meter unter der Erde, vielleicht sogar noch tiefer.«
»Der Graben ist nur hier so tief«, erklärte Kim. »Weiter drüben, auf dem freien Feld, ist er bei weitem flacher.«
»Stimmt«, sagte Edward, während er ein paar Schritte in Richtung Feld ging.
»Wo gehst du hin?« fragte Kim. »Willst du nicht den Grabstein sehen?«
»Erst mal will ich einen Blick auf den Sarg werfen«, rief Edward zurück. Als er die Stelle erreichte, an der der Graben flacher wurde, sprang er hinein und kam wieder zurück; mit jedem Schritt verschwand er tiefer in der Erdspalte.
Als Edward den Sarg erreicht hatte, ging er in die Hocke und inspizierte die beschädigte Stelle. Direkt daneben kratzte er etwas Schmutz ab und untersuchte ihn mit den Fingern.
»Ziemlich vielversprechend«, rief er zu Kim hinauf. »Die Erde ist knochentrocken, und hier unten ist es erstaunlich kühl.« Er bohrte seine Finger in eine Spalte, die der Bagger in den Sarg gerammt hatte. Dann riß er das Holz mit einem kräftigen Ruck ab.
»Ach, du meine Güte!« murmelte Kim.
»Könntest du mir bitte mal die Taschenlampe aus dem Auto holen?« bat Edward. Er blickte in den offenen Sarg hinein.
Kim erfüllte ihm
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