Das Experiment
unangenehme Pause.
»Du hast mir versprochen, den Schädel so schnell wie möglich zurückzubringen!« sagte Kim schließlich.
»Aber es paßt im Moment wirklich unheimlich schlecht in meinen Zeitplan«, sagte Edward kleinlaut. »Könntest du ihn nicht vielleicht selbst zurück in den Sarg legen?«
»Du machst wohl Witze«, entgegnete Kim. »Ich konnte den Kopf nicht einmal ansehen, und jetzt soll ich ihn sogar anfassen?«
»Du mußt ihn ja gar nicht anfassen«, sagte Edward schnell. »Du entfernst einfach das beschädigte Brett und stellst die Kiste hinein. Du mußt sie nicht aufmachen.«
»Edward, du hast es versprochen!« wiederholte Kim vorwurfsvoll.
»Bitte«, flehte Edward. »Ich werde es irgendwie wiedergutmachen. Aber ich kann das Labor jetzt wirklich nicht verlassen. Wir sind gerade dabei, die Struktur der Verbindung zu entschlüsseln.«
»Also gut«, seufzte Kim. Es war ihr schon immer schwergefallen, nein zu sagen, wenn sie von einem Freund um einen Gefallen gebeten wurde. Und im Grunde hatte sie nichts dagegen, nach Salem zu fahren. Sie wußte, daß es gut war, sich so oft wie möglich vor Ort vom Fortschreiten der Bauarbeiten zu überzeugen.
»Und wie soll ich an die Kiste kommen?« wollte sie wissen.
»Ganz einfach«, erwiderte Edward. »Ich schicke sie dir per Kurier, dann hast du sie noch vor Feierabend. Wie findest du das?«
»Also gut, aber nur weil du es bist«, willigte Kim schließlichein.
»Ruf mich im Labor an, wenn du zurück bist«, sagte Edward. »Ich bin mindestens bis Mitternacht hier, wahrscheinlich noch länger.«
Gedankenverloren ging Kim wieder an die Arbeit. Während sie geschäftig zwischen den Betten hin- und herlief, ärgerte sie sich immer mehr darüber, daß sie Edward überhaupt gestattet hatte, den Schädel aus dem Sarg zu nehmen. Je länger sie darüber nachdachte, daß sie selbst ihn nun wieder zurücklegen sollte, desto unerträglicher wurde ihr der Gedanke. Und während es ihr am Telefon noch ganz vernünftig erschienen war, den Schädel einfach in der Kiste zu lassen, gelangte sie jetzt zu der Überzeugung, daß sie das auf keinen Fall mit ihrem Ordnungssinn vereinbaren konnte. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als den Schädel aus der Kiste zu nehmen – ein Gedanke, bei dem es ihr kalt den Rücken herunterlief.
Sie war gerade mit einer intravenösen Injektion beschäftigt, die ihr nicht recht gelingen wollte, als ihr der Stationssekretär auf die Schulter klopfte.
»Es ist gerade ein Paket für Sie gekommen«, sagte er und zeigte auf einen Boten, der neben der Stationsaufnahme stand und sichtlich verlegen war. »Sie müssen noch die Quittung unterschreiben.«
Kim sah zu dem Boten hinüber. Die Atmosphäre auf der chirurgischen Intensivstation schien ihn ziemlich mitzunehmen. Vor seiner Brust hing ein Klemmbrett mit Stift und Papier, und neben ihm stand eine in Computerpapier eingewickelte Kiste, die mit einem Band verschnürt war. Kims Herzschlag setzte für einen Augenblick aus.
»Wir wollten ihn überreden, das Paket in der Poststelle abzugeben«, erklärte der Sekretär. »Aber er besteht darauf, es Ihnen persönlich auszuhändigen.«
»Danke, ich kümmere mich darum«, erwiderte Kim nervös. Während sie zur Stationsaufnahme hinüberging, blieb ihr der Sekretär dicht auf den Fersen. Und zu allem Überfluß mußte in diesem Augenblick auch noch Kinnard hinter dem Schreibtisch auftauchen; er hatte offenbar dort gesessen, um etwas in eine Patientenakte einzutragen. Jetzt war er gerade dabei,die Empfangsquittung für das Paket zu mustern. Kim hatte ihn seit ihrer kleinen Auseinandersetzung in Salem nicht mehr gesehen.
»Was haben wir denn hier?« fragte Kinnard.
Kim nahm schnell das Klemmbrett, das der Bote ihr hinhielt, und unterschrieb hastig.
»Ein Paket für Mrs. Stewart persönlich«, erklärte der Sekretär.
»Das sehe ich«, entgegnete Kinnard. »Und ich sehe auch, wer der Absender ist: Dr. Edward Armstrong. Was sich wohl in dem Paket befinden mag.«
»Das steht nicht auf der Quittung«, erwiderte der Sekretär.
»Gib mir sofort das Paket!« forderte Kim ihn mit strenger Miene auf. Sie langte über den Tresen und wollte es ihm abnehmen, doch Kinnard wich einen Schritt zurück.
Er grinste hochnäsig. »Das Paket ist von einem der zahlreichen Verehrer Mrs. Stewarts«, erklärte er dem Sekretär. »Wahrscheinlich sind Süßigkeiten drin. Wirklich clever von ihm, die Kiste mit seinem kleinen Liebesbeweis in Computerpapier
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