Das Experiment
ab.
Edward bestand darauf, alles selbst zu erledigen. Alle Untersuchungen von Eleanor wiederholte er noch einmal, um hundertprozentig sicher zu sein, daß sie keine Fehler gemacht hatte. Im Gegenzug bat er seine Assistentin, auch seine eigenen Resultate zu überprüfen.
Edward war so in das neue Projekt vertieft, daß er seine sonstigen Verpflichtungen völlig vernachlässigte. Er ignorierte Eleanors Rat und kümmerte sich weder um sein murrendes Erstsemester, noch hielt er irgendwelche Vorlesungen. Auch seine Doktoranden ließ er links liegen. Für viele bedeutete das, daß sie ihre Forschungsprojekte auf Eis legen mußten, da sie ohne die ständige Betreuung durch ihren Mentor nicht weiterkamen.
Das alles interessierte Edward nicht die Bohne. Wie ein Künstler im Kreativitätsrausch war er von dem neuen Wirkstoff so fasziniert, daß er von seiner Umgebung nichts mehr mitbekam. Zu seiner großen Freude gelang es ihm, die Struktur des Stoffs Atom für Atom zu entschlüsseln und das Geheimnis dieser neuen Verbindung zu lüften.
Am frühen Mittwoch morgen hatte er eine Meisterleistung auf dem Gebiet der qualitativen organischen Strukturanalyse vollbracht; er hatte die tetrazyklische Struktur der Verbindung vollständig entschlüsselt. Am Nachmittag desselben Tages hatte er sämtliche Seitenketten analysiert. Er hatte die Zusammensetzung entschlüsselt und ihre Bindungsstellen am Molekülgerüst identifiziert.
Genau diese Seitenketten waren es, die Edward faszinierten; es waren fünf an der Zahl. Eine war wie das Gerüst selbst tetrazyklisch aufgebaut, ähnlich wie LSD. Eine andere hatte zwei Ringe und glich einem Wirkstoff namens Scopolamin. Die übrigen drei ähnelten den wichtigsten Neurotransmittern des Gehirns: Noradrenalin, Dopamin und Serotonin.
In den frühen Morgenstunden des Donnerstags hatten Edward und Eleanor einen weiteren Durchbruch erzielt: Auf dem Bildschirm erschien die dreidimensionale Darstellung der kompletten molekularen Struktur. Dieses Ergebnis hatten sie mehreren Faktoren zu verdanken: einer neuen Software zur Strukturbestimmung, einer enormen Computerkapazität sowie etlichen Stunden hitziger Debatten, in denen sie durch die gegenseitige kritische Überprüfung ihrer gesamten Resultate alle erdenklichen Fehler ausgemerzt hatten.
Edward und Eleanor starrten andächtig auf den Monitor ihres Hochleistungs-Computers, auf dem sich das Molekül langsam drehte; sie waren wie hypnotisiert. Das Molekül erschien in den schillerndsten Farben: Die Elektronenhüllen leuchteten in verschiedenen kobaltblauen Schattierungen, die Kohlenstoffatome waren rot, die Sauerstoffatome grün und die Stickstoffatome gelb.
Edward machte sich schließlich daran, es zu bearbeiten; er wollte die beiden Seitenketten eliminieren, von denen er instinktiv ahnte, daß sie für die halluzinogene Wirkung verantwortlich waren: die LSD- und die Scopolamin-Seitenkette.
Zu seiner großen Freude gelang es ihm, die LSD-Seitenkette bis auf zwei Kohlenstoffatome abzutrennen, ohne dabei die dreidimensionale Struktur der Verbindung oder die Verteilung der elektrischen Ladungen signifikant zu verändern. Er wußte, daß eine Veränderung einer dieser Komponenten unübersehbare Konsequenzen für die Bioaktivität des Stoffs haben würde.
Die Scopolamin-Seitenkette bereitete ihm größere Schwierigkeiten. Es gelang ihm lediglich, einen Teil zu eliminieren, während ein ziemlich großes Stück mit dem Molekül verbunden blieb. Als er versuchte, weitere Bestandteile dieser Seitenkette abzutrennen, fiel das Molekül in sich zusammen und veränderte dramatisch seine dreidimensionale Struktur.
Nachdem Edward von der Scopolamin-Seitenkette soviel wiemöglich entfernt hatte, übertrug er die Moleküldaten auf seinen eigenen Laborcomputer, auf dem die Darstellung nicht mehr ganz so eindrucksvoll wirkte; doch in gewisser Hinsicht erschien sie nun sogar noch interessanter. Edward hatte vor, mit Hilfe des Computers auf der Grundlage der natürlichen Verbindung, die sie entdeckt hatten, einen neuen, künstlichen Wirkstoff zu konstruieren.
Vor allem wollte er die halluzinogenen und die antiparasympathischen Nebenwirkungen beseitigen, die die Verbindung in ihrem Naturzustand verursachte – die Mundtrockenheit, Pupillenerweiterung und partielle Amnesie, die sowohl er als auch Stanton zu spüren bekommen hatten.
Jetzt kam Edwards wahre Stärke zum Tragen: die synthetische organische Chemie. Den ganzen Donnerstag bis in die späte Nacht suchte er
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