Das fahle Pferd
eine gewisse Summe verfügen wird, kann man heute vielleicht ein gutes Geschäft abschließen. Der Tod ist immer eine unsichere Sache. Die gute alte Tante Elisa mag mithilfe der Ärzte noch zehn Jahre leben. Man wünscht es ihr, aber wie gut wäre es, wenn man Gewissheit hätte.«
Er hielt einen Moment inne und beugte sich wieder vor.
»Das ist nun der Moment, wo ich auftrete. Ich bin ein Mann der Wetten; ich wette um alles… natürlich zu meinen eigenen Bedingungen. Sie kommen zu mir. Es ist klar, dass Sie nicht auf den Tod Ihrer Großtante wetten wollen, das würde Ihr Zartgefühl verletzen. So drehen wir also die Sache um. Sie wetten mit mir um eine bestimmte Summe, dass Tante Elisa die nächste Weihnacht noch gesund und frisch erleben wird – und ich wette dagegen.«
Die kleinen, glitzernden Augen beobachteten mich scharf.
»Dagegen ist doch nichts einzuwenden, oder? Die ganze Sache ist sehr einfach und korrekt. Wir streiten uns natürlich ein wenig. Ich behaupte, Ihre Tante sei bereits vom Tode gezeichnet, Sie jedoch beharren auf der gegenteiligen Ansicht. Nun, dann entwerfen wir eben einen kleinen Vertrag und unterzeichnen ihn. Ich erkläre darin, dass Ihre Tante innerhalb von vierzehn Tagen beerdigt wird. Wenn Sie Recht behalten und Ihre Tante lebt länger, bezahle ich die Wette. Geht meine Behauptung aber in Erfüllung… bezahlen Sie.«
Ich sah ihn an und versuchte mir dabei die Gefühle eines Mannes auszumalen, der eine alte Tante beiseiteschaffen möchte. Nein, das brachte ich nicht fertig. Leichter würde es mit Erpressung gehen; ich konnte sagen, jemand habe mich in den letzten Jahren damit zur äußersten Verzweiflung getrieben… ich ertrug es nicht länger… der Mann musste sterben. Ich selbst hatte nicht den Mut, ihn umzubringen, aber ich würde alles… ja, alles darum geben…
Endlich sprach ich und meine Stimme war heiser. Ich spielte meine Rolle echt genug.
»Wie sind die Bedingungen?«
Das Benehmen von Mr Bradley änderte sich schlagartig; er wurde herzlich, fast zu Späßen aufgelegt.
»Haha, diese Frage haben Sie mir schon einmal gestellt, gleich zu Anfang unseres netten Gesprächs. ›Wie viel verlangen Sie?‹, waren Ihre ersten Worte. Sie brachten mich damit beinahe außer Fassung. Noch nie ist jemand derart mit der Tür ins Haus gefallen.«
»Wie sind die Bedingungen?«
»Das ist recht verschieden; es hängt natürlich von gewissen Faktoren ab – oder besser gesagt: vom Betrag, der auf dem Spiel steht. Manchmal richtet es sich auch einfach nach den Möglichkeiten des Kunden. Ein missliebiger Ehemann oder ein Erpresser – nun, dafür muss man erst in Erfahrung bringen, was der Kunde zu zahlen imstande ist. Ich lehne im Allgemeinen Wetten mit vermögenslosen Kunden ab… außer in einem Fall wie dem, den ich Ihnen vorhin als Hypothese schilderte. Hier würde es sich eher darum handeln, die Finanzlage von Großtante Elisa kennen zu lernen. Die Bedingungen entspringen gegenseitiger Übereinkunft. Wir möchten ja schließlich beide einen Profit davon haben. Der Einsatz ist meistens eins zu fünfhundert.«
»Eins zu fünfhundert? Das ist aber gepfeffert!«
»Mein Risiko ist ja auch sehr groß. Den Tod eines Menschen, der nicht bereits sterbenskrank ist, innerhalb von zwei Wochen zu prophezeien, bedeutet eine sehr unsichere Wette. Da sind fünftausend Pfund zu hundert nicht übertrieben.«
»Wenn Sie aber verlieren?«
Mr Bradley zuckte gleichgültig die Achseln. »Das wäre sehr unangenehm, aber ich würde selbstverständlich zahlen.«
»Andernfalls hätte ich zu zahlen, ich verstehe. – Wenn ich es aber nicht täte?«
»Oh, das würde ich Ihnen nicht empfehlen«, meinte Mr Bradley sehr sanft. »Nein, wirklich nicht!«
Trotz seiner freundlichen Stimme fühlte ich, wie mir ein Schauer über den Rücken lief. Er hatte keine direkte Drohung ausgesprochen, doch es war deutlich genug.
Ich erhob mich und bemerkte: »Ich… ich muss mir das noch einmal überlegen.«
Mr Bradley zeigte sich äußerst liebenswürdig und verbindlich.
»Selbstverständlich, das verstehe ich sehr gut. Man soll eine Sache nie überstürzen. Wenn Sie sich zu der Wette entschließen, kommen Sie wieder, und wir werden das Geschäft in allen Einzelheiten festlegen. Lassen Sie sich Zeit dazu.«
Als ich hinausging, klangen die letzten Worte wie ein Echo in meinem Kopf.
»Lassen Sie sich Zeit dazu…«
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A n meine nächste Aufgabe ging ich nur höchst widerstrebend heran. Obwohl Ginger mir dringend
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