Das fahle Pferd
kennen zu lernen. Komisch, dass Sie etwas über dieses Haus wissen möchten – ich hätte nie gedacht, dass es einen Mann wie Sie interessieren könnte.«
»Nun, sehen Sie, Mrs Tuckerton, es ist nicht im rein neugotischen Stil gebaut, und das macht es… hm… recht…«
Sie ersparte mir weitere Schwierigkeiten.
»Ich verstehe leider gar nichts von Architektur und ähnlichen Dingen. Sie müssen meine Unwissenheit entschuldigen…«
Ich brauchte gar nichts zu entschuldigen – ich war äußerst froh darüber.
»Natürlich ist all das höchst interessant«, fuhr Mrs Tuckerton fort.
Ich bemerkte, dass wir Spezialisten im Gegenteil meist sehr langweilige Personen seien, die unsere Mitmenschen durch Fachsimpeleien ermüden. Aber Mrs Tuckerton wollte das nicht gelten lassen und fragte, ob ich zuerst eine Tasse Tee wünsche oder gleich das Haus besichtigen wolle. Ich zog die Hausbesichtigung vor, damit ich diesen Albtraum möglichst bald hinter mir hatte.
Sie führte mich herum und redete dabei unaufhörlich. Mir konnte das nur recht sein, denn es ersparte mir fachmännische Urteile.
Es sei ein Glück, dass ich gerade jetzt gekommen sei, meinte sie. Das Haus sei zum Verkauf ausgeschrieben – »es ist natürlich seit dem Tod meines Mannes viel zu groß für mich allein« –, und so viel ihr bekannt sei, hätte sich bereits ein Käufer gemeldet, obwohl es erst vor vierzehn Tagen einem Makler angeboten worden sei. »Es wäre mir nicht recht gewesen, wenn Sie es leer hätten besichtigen müssen. Man muss in einem Haus wohnen, damit es Leben bekommt, nicht wahr, Mr Easterbrook?«
Ich hätte das Haus lieber überhaupt nie gesehen, aber das durfte ich ihr natürlich nicht sagen. Dagegen erkundigte ich mich, ob sie wohl in der Nachbarschaft wohnen bleibe.
»Das weiß ich wirklich noch nicht. Zuerst werde ich wohl ein paar Reisen machen – in den Süden natürlich. Ich hasse dieses schreckliche Klima. Wahrscheinlich verbringe ich den Winter in Ägypten, dort war ich vor zwei Jahren schon einmal. Das Land ist herrlich… aber darüber wissen Sie wohl besser Bescheid als ich.«
Ich kenne Ägypten gar nicht und sagte ihr dies auch, aber sie wollte es mir nicht glauben.
»Oh, Sie sind sicher nur zu bescheiden«, lächelte sie. »Dies ist das Speisezimmer. Es ist oktogonal… nicht wahr, so sagt man doch? Es hat keine eigentlichen Ecken.«
Gleich darauf war unser Rundgang beendet; wir kehrten zum Wohnzimmer zurück und Mrs Tuckerton bestellte Tee. Dieser wurde uns von dem bedrückt aussehenden Diener serviert. Die große viktorianische silberne Teekanne hätte einer Reinigung bedurft.
Mrs Tuckerton seufzte, als der Mann das Zimmer verließ.
»Die Dienerschaft ist einfach unmöglich«, erklärte sie. »Nach dem Tod meines Mannes verließ das Ehepaar, das wir vorher beschäftigt hatten, das Haus. Sie gaben an, sie wollten sich von der Arbeit zurückziehen, doch später erfuhr ich, dass sie einen anderen, sehr gut bezahlten Posten angenommen hatten. Ich finde es einfach abscheulich, den Leuten so hohe Gehälter bezahlen zu müssen. Wenn man bedenkt, was allein Essen und Wohnung für sie kosten…«
Ja, ich hatte Recht gehabt: Sie war geizig. Die blassblauen Augen und die schmalen Lippen hatten nicht getäuscht.
Es war nicht schwierig, Mrs Tuckerton zum Reden zu bringen. Sie liebte es vor allem, von sich selbst zu erzählen. Durch geduldiges Zuhören und ein paar aufmunternde Worte wusste ich bald mehr über Mrs Tuckerton, als sie ahnte.
Ich erfuhr, dass sie den Witwer Thomas Tuckerton vor fünf Jahren geheiratet hatte. Sie war natürlich »viel, viel jünger als er«. Sie hatte ihn in einem großen Hotel am Meer kennen gelernt, wo sie als Bridge-Hostess angestellt war. (Diese Bemerkung allerdings war ihr nur aus Versehen entschlüpft.) Er hatte eine Tochter, die dort in der Nähe zur Schule ging.
»Der arme Thomas, er fühlte sich so vereinsamt. Seine Frau war vor ein paar Jahren gestorben.«
Mrs Tuckerton fuhr mit ihrem Lebenslauf fort. Sie schilderte das Bild einer gütigen, verstehenden Frau, die Mitleid mit dem alternden Mann gehabt und ihn auch während seiner Krankheit ergeben gepflegt hatte. Dann seufzte sie.
»Natürlich konnte ich im letzten Stadium seiner Krankheit gar keinen eigenen Freundeskreis mehr haben.«
Sollte sie etwa Freundschaften mit Männern gepflegt haben, die Thomas Tuckerton nicht genehm waren? Das könnte die Abfassung seines letzten Willens erklären.
Ginger hatte für mich dieses
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