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Das fahle Pferd

Das fahle Pferd

Titel: Das fahle Pferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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dazu geraten hatte, war ich mir gar nicht im Klaren darüber, ob es weise war, mit Mrs Tuckerton zu sprechen. Vor allem fühlte ich mich sehr unsicher in der Rolle, die mir zugedacht war. Es lag mir nicht, unter falscher Flagge zu segeln.
    Wenn Ginger sich aber einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb sie eisern dabei. Sie führte nur ein kurzes Telefongespräch mit mir: »Das Ganze wird sehr einfach sein. Ich habe mich nach dem Haus erkundigt. Es ist ein Gebäude in neugotischem Stil, jedenfalls ganz unecht.«
    »Welchen Grund soll ich für mein Eindringen angeben?«
    »Sie wollen einen Artikel oder ein Buch schreiben über die verschiedenen Einflüsse, die zu Stilveränderungen in der Architektur führen.«
    »Den Schwindel riecht man ja hundert Meilen gegen den Wind!«
    »Unsinn!«, erklärte Ginger energisch. »Sobald es sich um gelehrte oder künstlerische Dinge handelt, werden die unglaublichsten Theorien aufgestellt und dicke Wälzer darüber geschrieben. Ich kenne mich da aus.«
    »Deshalb wären Sie für diese Aufgabe viel besser geeignet als ich.«
    »Da irren Sie sich!«, behauptete Ginger. »Mrs Tuckerton kann im Who’s who nachschlagen und wird Ihren Namen darin finden. Das macht bestimmt Eindruck auf sie. Mich aber würde sie da vergeblich suchen.«
    Ich war nicht überzeugt von diesem Argument, aber ich gab es auf, Ginger zu widersprechen. Nach meinen unglaublichen Erlebnissen mit Mr Bradley hatten wir unser weiteres Vorgehen besprochen. Ihr schien die Sache weit weniger unfassbar als mir, im Gegenteil: Sie war höchst befriedigt von dem Ergebnis.
    »Jetzt besteht wenigstens kein Zweifel mehr, dass wir mit unserem Verdacht Recht haben. Wir wissen nun, dass es wirklich eine Organisation gibt, die sich damit befasst, unliebsame Menschen aus dem Wege zu schaffen.«
    »Auf übernatürliche Weise?«
    »Seien Sie doch nicht so begriffsstutzig. Thyrzas Geschwätz und die falschen Skarabäen der dummen Sybil haben Sie verwirrt. Und wenn Mr Bradley sich als Quacksalber entpuppt hätte oder als Pseudoastrologe, dann wären Sie jetzt noch nicht überzeugt. Aber weil er ein schmutziger Hochstapler ist, bekommt die Sache Hand und Fuß. So unfassbar es auch scheinen mag – die drei Weiber im ›Fahlen Pferd‹ kennen einen Dreh, der tatsächlich funktioniert.«
    »Wenn Sie davon so überzeugt sind – weshalb dann noch diesen Besuch bei Mrs Tuckerton?«
    »Um ganz sicherzugehen«, erklärte Ginger prompt. »Wir wissen, was Thyrza Grey zu können behauptet. Wir wissen auch, wie die finanzielle Seite abgewickelt wird. Wir besitzen ein paar Informationen über drei der Opfer. Was uns noch fehlt, ist die Seite der Kundschaft.«
    »Es ist aber durchaus möglich, das Mrs Tuckerton nicht die geringste Verwirrung erkennen lässt.«
    »Dann müssen wir eben weitersuchen.«
    So stand ich denn nun am Eingang von Carraway Park. Das Haus sah fast wie ein kleines Schlösschen aus.
    Ich klingelte. Ein ziemlich bedrückt aussehender Mann öffnete die Tür.
    »Mr Easterbrook?«, fragte er. »Bitte treten Sie doch näher, Mrs Tuckerton erwartet Sie.«
    Er führte mich in ein pompös eingerichtetes Wohnzimmer. Der Raum machte keinen guten Eindruck auf mich. Alles war sehr kostspielig, aber ohne Geschmack zusammengestellt. Zwei wirklich gute Bilder hingen da, neben einer ganzen Menge schlechter. Gelbe Brokatvorhänge und -möbelstoffe fielen mir auf. Aber weitere Überlegungen wurden unterbrochen durch den Eintritt von Mrs Tuckerton. Mühsam erhob ich mich aus der Tiefe eines gelben Brokatsofas.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber jedenfalls erfuhren meine Gefühle eine vollkommene Umwälzung. Diese Frau hatte nichts Düsteres oder Unheimliches an sich; sie war ganz gewöhnlich, etwa vierzig Jahre alt, nicht interessant und nach meinem Empfinden auch nicht besonders angenehm. Die Lippen waren trotz des dick aufgetragenen Lippenstifts sehr dünn und leicht nach unten gezogen. Das schwächliche Kinn trat etwas zurück. Die Augen waren hellblau und machten den Eindruck, als ob sie gewohnt wären, alles nach seinem Kaufwert zu taxieren. Sie gehörte bestimmt zu jenen Frauen, die Kellnern und Dienstboten zu kleine Trinkgelder gaben. Man findet diesen Typ auf der ganzen Welt, allerdings sind die meisten nicht so kostbar angezogen und so aufgeputzt.
    »Mr Easterbrook?«, fragte sie höflich. Ganz augenscheinlich war sie begeistert von meinem Besuch und sah mich sogar etwas schmachtend an. »Ich freue mich so sehr, Sie

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