Das fahle Pferd
fast zu gut, um wahr zu sein. Hören Sie zu: Sie sind bis über beide Ohren verliebt und möchten das Mädchen heiraten… aber Sie wissen nicht bestimmt, ob Ihre Frau noch am Leben ist. Während Sie noch über das Problem nachgrübeln, taucht Ihre Gattin plötzlich auf – einfach so, aus heiterem Himmel, und sie verweigert die Scheidung. Nicht nur das: Sie droht auch zu dem jungen Mädchen zu gehen und ihm alles zu erzählen.«
»Wer soll denn dieses junge Mädchen sein? Sie vielleicht?«
Ginger machte ein ganz entsetztes Gesicht.
»O nein, auf keinen Fall! Ich bin nicht der Typ dafür. Mir würde man viel eher glauben, das ich vergnügt und ohne jede Hemmungen mit Ihnen zusammenleben und auf Ihre so plötzlich auftauchende Frau pfeifen würde. Nein, es muss eine junge Dame von einwandfreien moralischen Grundsätzen sein… und Sie wissen genau, an wen ich dabei denke. Diese statuengleiche Brünette, mit der man Sie öfter sieht. Sehr intellektuell, sehr ernsthaft.«
»Hermia Redcliffe?«
»Stimmt.«
»Wer hat Ihnen denn von ihr erzählt?«
»Poppy natürlich. Sie ist auch reich, nicht wahr?«
»Ja. Aber das hat doch…«
»Schon recht, schon recht. Mir brauchen Sie nicht zu erzählen, dass Sie niemals des Geldes wegen heiraten würden, das weiß ich ohnehin. Aber schmutzige Charaktere wie dieser Bradley könnten leicht auf den Gedanken kommen. Schön; das Bild sieht also folgendermaßen aus: Sie wollten eben die schicksalhafte Frage an Hermia richten… und in diesem Moment taucht Ihre Frau aus der Versenkung auf. Ganz plötzlich erscheint sie, nach all den Jahren, in London und vernichtet Ihre ganzen Zukunftspläne. Sie drängen auf eine Scheidung – aber aus Rachsucht gibt sie nicht nach. Und dann… hören Sie vom ›Fahlen Pferd‹. Ich gehe jede Wette ein, dass Bella und die famose Thyrza Grey schon bei Ihrem Besuch etwas Ähnliches dachten. Nur deshalb erzählte man Ihnen so bereitwillig den ganzen Humbug. Das war reine Geschäftstaktik.«
»Nicht ausgeschlossen«, musste ich zugeben.
»Und Ihr Besuch bei Bradley gleich darauf passt ausgezeichnet ins Bild. Sie sind auf bestem Wege, ein Kunde zu werden.« Siegessicher hielt sie inne. In ihren Worten lag etwas Überzeugendes, und dennoch schien mir das Wichtigste bei der ganzen Sache unklar…
»Sie vergessen, dass die Leute sich genau erkundigen werden«, gab ich zu bedenken.
»Natürlich werden sie das tun«, stimmte Ginger seelenruhig zu.
»Es ist ja ganz gut und schön, eine Ehefrau aus der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Aber man wird Einzelheiten wissen wollen… wo sie wohnt und so weiter. Und wenn ich auszuweichen versuche…«
»Sie brauchen gar nicht auszuweichen. Um die Sache richtig durchzuführen, muss Ihre Frau tatsächlich vorhanden sein – und sie ist vorhanden! – Fallen Sie nicht in Ohnmacht. Ich bin Ihre Frau!«
Ungläubig starrte ich sie an – nein, ich glaube, glotzen wäre das richtige Wort. Jede Sekunde erwartete ich, sie würde in helles Lachen ausbrechen. Doch ehe ich mich noch erholt hatte, fuhr sie ganz gelassen fort: »Sie brauchen kein so entsetztes Gesicht zu machen; dies ist kein Heiratsantrag.«
Endlich fand ich die Sprache wieder.
»Sie wissen nicht, was Sie da vorschlagen!«, keuchte ich.
»O doch! Es lässt sich ganz leicht durchführen und hat außerdem den Vorteil, dass wir keine unschuldige Person einer möglichen Gefahr aussetzen.«
»Aber Sie selbst könnten in Gefahr kommen!«
»Das ist meine eigene Angelegenheit.«
»Nein, das geht auch mich etwas an! Und im Übrigen würde der Schwindel sofort herauskommen.«
»Kein Gedanke! Ich habe mir alles bereits genau überlegt. Ich komme mit ein paar Koffern in einem Hotel an, trage mich dort als Mrs Easterbrook ein und miete sogleich eine kleine möblierte Wohnung auf den gleichen Namen. Wer soll mir beweisen, dass ich nicht Mrs Easterbrook bin?«
»Alle Ihre Bekannten.«
»Meine Bekannten werden mich nicht zu Gesicht bekommen. Und selbst wenn es der Zufall so wollte, würde mich kein Mensch erkennen. Meine Arbeit muss ich unterbrechen, weil ich krank bin. Die Haare lasse ich mir färben… war Ihre Frau blond oder dunkel?«
»Dunkel«, gab ich ganz mechanisch zurück.
»Gut; das ist mir lieber, als sie bleichen zu müssen. Andere Kleider und dicke Schminke – und meine beste Freundin würde sich nicht nach mir umdrehen. Ihre ehemalige Frau war hier unbekannt und ist hier außerdem seit etwa fünfzehn Jahren verschollen. Weshalb sollten
Weitere Kostenlose Bücher